83. Es ist wie es ist, sagt nicht nur die Liebe

Diesen schönen und zugleich so wahren Spruch hab ich neulich bei einer liebgewonnenen Bekannten gelesen und er hat vieles in mir ausgelöst.

Es ist wie es ist.

Diese 5 Worte sind irgendwann, irgendwie zu meinem Lebensmotto geworden. Sie halten mich stabil und lassen mich vieles nicht ertragen, nein, sie lassen es mich annehmen.

Als mein Vater damals an Alzheimer erkrankte, stand die Zeit still, auf einmal was alles anders und gefühlt hing auf einmal alles an mir. Da war dieser Schrank voller Akten: Steuern, Versicherungen. Krankenkasse, Rechnungen … niemand hatte den Überblick über den Papierkram meiner Eltern. Ich nicht, meine Mutter nicht und meine Vater, ja der hatte den Überblick verloren. Einblicke hat er uns nie gewährt.

Zuerst kommt die Leere

Das war der erste Moment, in dem ich eine erste tiefe Leere empfand. Da stand ich also in unserem Keller vor diesem Schrank und hatte die Wahl: durchdrehen oder annehmen. Da half mir dieser Spruch zum ersten Mal. „Es ist, wie es ist“, und ich ging es an.

Dann kam der Moment, als wir meinen Vater in die Gerontopsychiatrie bringen mussten, auf ärztliche Anweisung, wegen sogenannter Eigen- und Fremdgefährdung. Einfach niemand hatte eine andere Idee, von überall her schallte es: Dieser Mensch muss medikamentös eingestellt werden. Ich weiß es noch wie heute, wie ich diesen Weg nicht akzeptieren wollte und doch hatte ich keine Wahl. Ich fand keinen anderen.

Am Tag nach der Einweisung besuchten meine Schwester und ich meinen Vater in der Gerontopsychiatrie und der Anblick, der sich mir damals bot, den werde ich niemals vergessen und der Gedanke daran schnürt mir noch heute das Herz zusammen und  wie ich diese Worte schreibe laufen mir die Tränen übers Gesicht.

Da lag er, mein Vater, der starke Mann, der mir im Leben immer eine Stütze war, da lag es in Unterhemd und Unterhose in seinem Bett, an Händen und Füßen mit Schlaufen ans Bett fixiert und der Oberkörper in einem Geschirr, wie ein kleines Kind, damit es nicht aus dem Kinderwagen kullert. Leise atmete er vor sich hin, die Augen halb offen, halb zu. Er hatte offensichtlich derartig randaliert, dass den Pfleger keine andere Maßnahme blieb.

Und dann meldet sich das Gewissen

Ich fühlte mich schuldig und hilflos zugleich. Was hab ich dir nur angetan? Meine bange Frage und wieder machte sich diese unbändig Leere breit. Allerdings in einem Ausmaß, wie ich es noch nicht kannte.

Viele Wochen und Monate haben wir gekämpft, um dann ein knappes Jahr und zwei Aufenthalte in der Gerontopsychiatrie später zu erkennen, meinem Vater helfen keine Medikamente. Austherapiert und im Rollstuhl. Dass es bis heute noch keine andere Möglichkeit gibt, Menschen mit Demenz, die sogenanntes herausforderndes Verhalten zeigen, zu behandeln oder vielleicht sollte man es auch begleiten nennen. Das macht mich tieftraurig und genau deshalb schreibe ich auch diesen Blog. Damit sich an dieser Situation endlich etwas ändert. Noch sehe ich die Veränderung nicht. Denn gerade im Moment ist ein Mitbewohner im der Wohngruppe meines Vaters in die Gerontopsychiatrie wegen herausforderndem Verhalten eingewiesen worden.

Dann siegt die Zuversicht

Und doch bin ich heute hier, schreibe ich diese Zeilen, um dir, um euch zu sagen. Egal vor welche Herausforderungen das Leben euch stellt. Welche Leere auch immer sich in dir, in euch auftut. Nehmt die Leere an, durchlebt die Gefühle und die Traurigkeit. Und dann tretet heraus, stellt euch vielleicht etwas abseits und betrachtet die Situation. Ich bin mir sicher, du wirst, ihr werdet zwischen all der Leere und Traurigkeit auch schöne Momente finden.

Als mein Papa damals fixiert in seinem Bett lag, sagte ich zu ihm: „Du kommst da wieder raus. Alles wird gut, denn du bist doch ein alter Kämpfer.“ Und irgendwo in seine Delirium sind meine Worte bei ihm angekommen und er flüsterte „Ja.“

Die Liebe gibt dir Kraft

Oder vor knapp 2 Jahren, als mein Paps mit Nierenversagen im Krankenhaus lag. Die Ärzte hatten ihn aufgegeben. Ich nicht. So weit die Alzheimer bei ihm damals schon fortgeschritten war, so sehr liebte ich doch die Momente, die ich mit ihm noch erleben durfte. Dennoch wollte ich nicht egoistisch sein und sagte zu ihm: „Paps, wenn du nicht mehr kannst, wenn du gehen willst, dann geh. Es ist in Ordnung.“ Und er blieb. Es ging ihm von Tag zu Tag besser und nun dürfen wir schon den zweiten Sommer seitdem miteinander genießen. Dafür bin ich aus tiefstem Herzen dankbar, für jeden einzelnen Tag, der uns noch geschenkt wird.

Und da sind wir wieder am Ausgangspunkt dieses Textes. Es ist wie es ist … das sagt nicht nur die Liebe. Aber vor allem sie ist es, die mir die Kraft dazu gibt, die Situation anzunehmen und in Liebe und Verbundenheit jeden Moment zu genießen. Zugegebenermaßen, diese Momente, dieses Leben ist ein anderes, aber ist es deshalb schlechter, weniger wert, ist es deshalb leer?

Nein, ist es nicht. Menschen, die das so sehen, tun mir ehrlich gesagt sehr leid. Menschen mit Demenz sind vielleicht verwirrt, können früher oder später nicht mehr reden, laufen unruhig umher … doch ihre Gefühle sind hellwach. Und wer das erkennt, dem wird eine Fülle im Leben geschenkt, die ein Gesunder nicht oder nur selten kennt, empfindet oder erlebt.

Öffne dein Herz, verlass deine erlernte Erwartungshaltung, nimm die Situation an und lebe den Moment, dann wird sich die Leere in Luft auflösen.

Foto: Depositphotos

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