Was ist das nur für eine scheiß Krankheit. Schlimm genug, dass mein Vater mehr und mehr vergisst und nicht nur die Erinnerung an uns, sondern vor allem sich selbst verliert. Jetzt kommt auch noch Aggression dazu. Aggression gegen andere und noch schlimmer auch gegen sich selbst. Wie äußert sich das im Alltag?
Nein, ich wasch mich nicht
Beim täglichen Waschen beispielsweise. Das ist echt ein Problem, weil er überhaupt nicht mehr versteht, was meine Mutter oder ich von ihm wollen. Er steht mit Unterwäsche in der Dusche. Prima, drin ist er schon mal. Aber jetzt noch Wäsche runter. Hilflos steht er da, schlank, geradezu abgemagert und von Muskulatur kaum noch eine Spur. Doch auch auf mehrfaches Bitten, die Wäsche kommt nicht runter. Stattdessen wird er richtig sauer und geht auf uns los. Packt meine Mutter am Arm, sodass blaue Flecken zurückbleiben, knallt die Duschtür zu, so stark, dass sie nach innen durchkracht. Mist. Kaputt ist nix, aber wie bekommen wir die Tür jetzt wieder raus. Egal. Jetzt erst mal um den Vater kümmern, aber der will nichts von uns wissen. Also rennt er die nächsten Stunden eben einfach in der Unterwäsche rum oder zieht seinen Schlafanzug wieder an oder noch besser zieht über den Schlafanzug auch noch Jeans und Hemd drüber – Meisterleistung, das bekomm ich nicht hin, er schon.
Nein, ich esse nicht
Zum Essen an den Tisch hinsitzen. Das ist noch so ein Problem. Vor allem, wenn der Alzheimer-Patient so extrem unruhig ist wie mein Vater. Mehrere Anläufe sind nötig, bis er endlich sitzt und isst. Und wehe man verliert unterwegs die Nerven, es genügt nur leicht genervt oder angespannt zu sein. Eine jegliche Gefühlsregung nimmt der an Demenz erkrankte wahr. Das Herz wir nämlich nicht dement! Ist man also nur ein Stück weit genervt, dann kann ein normaler Satz wie: Hier ein paar Kroketten für dich.“ Schon dazu führen, dass er dir den Teller aus der Hand reißt und alle Kroketten schwungvoll auf dem Boden landen. Wusch! Mahlzeit, das wars.
Darf ich dir das wirklich antun?
Dieser Zustand dauert nun schon eine Weile an und vor allem meine Mutter leidet sehr darunter. Deshalb haben wir mit dem Neurologen gesprochen. Was sollen wir tun? Seine Meinung und auch die des Hausarztes ist: Wir sollen ihn unbedingt zur medikamentösen Einstellung in eine Klinik bringen, damit wir die Aggressionen mit entsprechenden Medikamenten dauerhaft durchbrechen können. Ansonsten würden die Aggressionen immer stärker werden und wir hätten in nicht allzu langer Zeit einen Notfall im Haus. Dafür müsse er allerdings in einer geschlossenen Abteilung untergebracht werden.
Sollten wir diesen Weg wirklich einschlagen? Ein Blick auf die Mutter macht schnell klar: Ja, wir müssen das tun, sonst ist demnächst sie in einer geschlossenen Abteilung. Wir müssen jetzt auch nach uns sehen, sagen die Ärzte, denn der Weg unseres Vaters ist vorbestimmt. Da stehen wir nun, haben die Wahl zwischen Pest und Cholera und entscheiden uns schließlich für die Klinik. Mit einem großen Kloß in der Kehle und einem noch größeren im Bauch bringen mein Schwester und ich unseren Vater dorthin, in der Hoffnung, dass sie ihm und uns dort irgendwie helfen können, noch eine gewisse Zeit mit unserem Vater zu verbringen. Nichts ahnend was ihn und uns dort erwartet, beschreiten wir diesen Weg. Heute ein paar Tage später, kann ich rückblickend sagen: Zum Glück (oder Unglück – keine Ahnung was das jetzt ist) wussten wir nicht, was dort mit ihm passiert, denn sonst hätten wir das nicht getan. Aber nicht dorthin zu gehen, wäre definitiv die falsche Entscheidung gewesen. Doch mitzuerleben, was in dieser Klinik mit ihm geschieht ist für eine Menschenseele kaum auszuhalten…