62. Krankenhaus

Nun ist es doch passiert. Mein Paps liegt im Krankenhaus. Zu wenig rote Blutkörperchen, fehlende Sauerstoffsättigung, Herzrhythmusstörungen, erhöhter Blutdruck, Blutverdünnung nötig, da sonst akute Schlaganfallgefahr … die Liste ist lang. Und nun liegt er da, heute Nacht in einer ihm fremden Umgebung und niemand weiß, wieviel er von all dem versteht, was da gerade mal wieder mit ihm passiert. Ich wollte, ich könnte bei ihm sein…

Wie es dazu kam?

Vergangenen Mittwoch war er bereits sehr müde. Das passiert manchmal und kommt häufig davon, dass er zu wenig getrunken hat. Meine Mutter wollte ihm etwas geben, aber er trank nicht und schlief stattdessen nur. Ich nehme an, es ging ihm da schon schlecht. Aber da er ab und an mal etwas schläfrig ist, machte sich wohl niemand größere Gedanken darüber.

Seltsam nur, dass er am nächsten Tag ein Zäpfchen bekam, weil er wohl Verstopfung hatte. Das war dann tags zuvor mit Sicherheit auch bereits sein Problem. Hat nur niemand bemerkt. Was mich ehrlich gesagt etwas verwundert, denn wann bekommt man ein Abführzäpfchen? Doch dann, wenn das Problem bereits ein paar Tage alt ist. Also warum hat nicht bereits am Mittwoch schon jemand reagiert?

Am Donnerstag hatte er in Folge des massiven Abführvorgangs entsprechend starke Krämpfe und war ebenfalls schlapp. Als meine Mutter zu ihm kam bot sich ihr ein Bild des Jammerns. Er lag zusammengefaltet in seinem Bett mit hoch rotem Kopf. Sie schlug Alarm und auf einmal liefen die Rädchen rund. Eine dieser Perlen unter den Pflegekräften im Heim meines Vaters kümmerte sich und stellte fest, dass bei der einen oder anderen Übergabe, das eine oder andere an Information verloren gegangen ist. So bekam er seit Wochen keine Zusatznahrung mehr, die ihm seine Hausärztin aber aufgrund seines massiven Untergewichts verordnet hat. Hat nur niemand ein neues Rezept nachgeordert. Also bekam er es nicht mehr.

Fragen über Fragen

Was ich mich frage: Wer kontrolliert das? Eigentlich fällt das doch in das Segment der Medikamentenvergabe, also ist die Wohnbereichsleiterin dafür verantwortlich. Dann die weitere Frage: Wie kam es zu der Verstopfung? Bekommt mein Vater doch – ebenfalls ärztlich verordnet – täglich ein abführendes, bzw. die Darmtätigkeit anregendes Medikament. Auch das wurde vergessen. Warum? Weil es vor einiger Zeit auf Bedarf gesetzt wurde und der Bedarf wurde dann wohl auch durch die ferienbedingten häufigen Wechsel innerhalb der Pflegeteams mehrere Tage nicht verabreicht. Stattdessen bekam er obendrauf noch Schokopudding, damit er wieder zunimmt. Nur Schokopudding ohne darmanregendes Medikament macht die Verstopfung dann perfekt.

Leute, Leute, ich war echt angefressen und hab das auch freundlich aber bestimmend so zur Sprache gebracht. Das geht einfach nicht. Und das Ergebnis sehen wir jetzt. Ein Organismus, der komplett am Rad dreht und ein Paps allein und verunsichert in einer fremden Umgebung, ohne bekannte Gesichter. Im Krankenhaus. Ach Paps, ich wollte, ich könnte bei dir sein…

Übers Wochehende hat man im Heim noch versucht, das Ruder wieder herumzureißen. Doch mein Paps war zu schwach zum Essen und zu schwach zu trinken. Am Sonntag waren wir noch bei ihm. Da schlief er dann ein, während er mit meiner Mutter einen Pudding aß. Das Ergebnis war dann, dass die Pflegekraft ihm den Mund ausräumen musste, sonst hätte er das ganze Zeug, das er nicht geschluckt hat, im Schlaf in die Lunge aspiriert. Dann wäre die Lungenentzündung vorprogrammiert.

Heute am Montag ging es ihm dann nicht besser. Er wollte nichts essen, nichts trinken. Die Medis wanderten damit auch nicht in den Mann. So kam der besorgte Anruf vom Heim. Meine Mama husch ins Auto und ins Heim gebraust. Und siehe da. Bei ihr nahm er die Medis. Erstes Aufatmen und dennoch, zwei Stunden später kam nochmal die Ärztin und dann war klar. Wir müssen die Medikamentengabe sicherstellen, damit sich der zwischenzeitlich hinzugesellte Harnwegsinfekt nicht zu einem echten Nierenproblem ausweitet.

Und da liegt er nun. Die Ärzte besorgt, aber positiv gestimmt. Wenn das Antibiotika anschlägt, dass jetzt intravenös verabreicht wird, dann sind wir schon einen großen Schritt weiter. Doch dann kommt leider auch noch Corona dazu und damit die Tatsache: Es darf nur eine Person zu ihm ins Krankenhaus und auch nur zu bestimmten Besuchszeiten am Nachmittag. Eine lange Nacht ohne ein bekanntes Gesicht und dann nochmal ein nicht weniger langer Vormittag dazu. Ach Paps, ich wollte, ich könnte bei dir sein.

Ja, heute steht mir die blanke Verzweiflung im Gesicht und mein Herz ist schwer. Dieser Krankenhausaufenthalt ist so unnötig wie ein Kropf, weil hausgemacht. Gut es mag sein, dass sich sein Allgemeinzustand auch ohne vorausgegangene Verstopfung verschlechtert hätte. Aber: Die Ärzte in der Klinik gaben heute meiner Mutter klar zu verstehen, dass die Nierenproblematik definitiv davon kommt, dass er extrem ausgetrocknet war.

Das ist großer Mist und macht mich auch entsprechend traurig, denn ich habe so großes Vertrauen in das Heim meines Vaters und bin wirklich so überzeugt von der Qualität, vor allem der menschlichen Qualität der Pflegekräfte. Aber das hier hätte nicht passieren dürfen. Leider machen wir alle Fehler, in der Pflege haben sie aber bisweilen lebensbedrohliche Auswirkungen.

Jetzt bin ich erschöpf, erschöpft und müde. Hoffentlich finde ich in den Schlaf. Hoffentlich findet mein Paps in den Schlaf. „Schlaf gut, Paps.“ Morgen kommt die Mama zu dir, um nach dir zu sehen und am Mittwoch komme ich … in der Hoffnung, dass es dir bis dahin schon besser geht. Und wenn nicht, wenn dich die Kraft verlässt, wenn du genug hast von diesem Kampf gegen das elendige Vergessen, dann lass los. Ich kümmere mich hier um alles.

Einfach da sein…

Heute wissen wir mehr. Mein Paps hat leider bereits einen Nierenschaden davongetragen. Wir wissen nicht, ob sich das wieder regeneriert. Das müssen die nächsten Tage zeigen. Im Moment versuchen sie, in der Klinik seine Elektrolyte-Werte wieder auf normal zu bringen. Meine Mutter war heute bei ihm. Die Ärzte sind immer noch positiv, aber besorgt. Er hat die Nacht gut geschlafen, isst und trinkt aber immer noch nicht. Wobei wir nicht wissen, ob das auch daran liegt, dass er in einer ungewohnten Umgebung ist oder ob es krankheitsbedingte Appetitlosigkeit ist. Insgesamt ist er immer noch sehr schwach und schläft viel. Meine Mutter war ein paar Stunden am Nachmittag bei ihm und morgen gehe ich hin. Einfach da sein. Ich werde versuchen, meine Traurigkeit und Wut auf diese Krankheit für eine Weile beiseite zu schieben, in der Hoffnung, dass es ihm hilft, wenn ich einfach nur da bin … mehr kann ich nicht mehr tun.

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