2. Reden oder schweigen?

Langsam tritt die Alzheimer immer deutlicher zu Tage. Ich bin dafür es offensiv anzugehen. Mit unserem Vater darüber zu reden, um dann zusammen einen Weg zu finden das Voranschreiten der Krankheit zu verlangsamen. Vielleicht können wir sie sogar eine Zeitlang stoppen. Doch dazu ist mein Vater nicht bereit.

Viel schlimmer noch. Im Prinzip ist keiner aus unserer Familie dazu bereit, weder meine Mutter, noch meine Schwester. Beide haben Angst vor der Aussprache mit unserem Vater und beide verstecken sich hinter der Aussage „So schlimm ist es ja noch nicht.“ Aber, wie schlimm muss es denn noch werden? Und viel entscheidender die Frage: Wie lange kann man überhaupt aktiv etwas dagegen tun? Verschwinden wird die Alzheimer nicht mehr. Sie ist nun mal da und was jetzt: reden oder schweigen?

Schaffen wir den Schritt heraus aus der Demenzfalle?

Ich lese viel und die Lektüre bestätigt meine Vermutung, man kann die Alzheimer in Form von Koordinationstraining, Gedächtnistraining und Physiotherapie sehr wohl angehen. Schließlich kann ein Patient nach einem Schlaganfall auch andere Hirnregionen damit beauftragen, dass zu übernehmen, was zuvor die Aufgabe der ausgefallenen oder durch den Schlaganfall zerstörten Hirnregionen war. Das Buch „Raus aus der Demenzfalle“ zeigt anschauliche Wege auf, dass auch für Demenzpatienten die Chance besteht, die Krankheit aufzuhalten und damit länger am Leben aktiv teilzunehmen. Doch dazu müsste man das Thema zunächst einmal ansprechen, nur wie soll das funktionieren, wenn weder der Patient selbst noch sein Umfeld damit umgehen kann, geschweigen denn es wahrhaben möchte. Ich war bereit dazu, der Rest der Familie nicht, noch nicht.

Das Lachen lassen wir uns nicht nehmen

Als die Fassade dann mehr und mehr bröckelte. Als die ersten Außenstehende uns ansprachen, was denn mit Vater los wäre? Dann war es für den Rest der Familie plötzlich Zeit, die Alzheimer anzugehen. Für meinen Vater allerdings immer noch nicht. Und das ist bis heute so. Er hat die Krankheit nie angenommen und wahrscheinlich geht auch deshalb alles so rasend schnell. Vor circa eineinhalb Jahren konnten wir uns noch sinnvoll unterhalten. Heute können wir das nicht mehr. Einerseits macht mich das sehr traurig.

Andererseits finden sich auch Wege, um heute noch ein Gespräch zu führen. Ein Gespräch auf einer anderen Ebene, zumeist sinnfrei. Doch achtet man auf die Botschaft zwischen den Zeilen, macht das ein oder andere Gespräch doch wieder Sinn. Das hört sich vielleicht abstrakt an, ist aber so. Dazu vielleicht einmal an anderer Stelle mehr.

Was viel wichtiger ist, wir lachen mindesten genauso viel wie früher. Wir lachen gemeinsam und das verbindet, obwohl das, was wir reden eigentlich überhaupt keinen Sinn macht. Seltsam, ja. Und im Nachgang auch oft schmerzhaft und traurig. Doch in der Situation selbst einfach nur schön.

Der Familienrat hat entschieden

Wie aber sind wir nun die Frage „Über Alzheimer reden oder schweigen“ angegangen? Wir haben uns entschlossen zu schweigen. Was mir außerordentlich schwer fällt. Aber der Familienrat hat entschieden und irgendwie sehe ich es auch ein, denn es hätte wahrscheinlich zu nichts geführt, außer zu einem großen Streit und mit Sicherheit auch einen absolut aufgebrachten Vater. Eine Situation, der wir alle irgendwie ausweichen wollten, haben wir doch bis heute großen Respekt vor diesem einstmals so starken und präsenten Mann. Uns ist immer schwergefallen, uns mit unserer Meinung gegen ihn zu behaupten und das zieht sich wie ein roter Faden durchs Leben.

Allerdings weiß ich nicht, ob ich die Entscheidung zu schweigen, irgendwann bereuen werden. Das weiß ich erst später, irgendwann und dann muss ich damit umgehen und leben.

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