22. Auf der Stelle treten

Irgendwie drehen wir uns im Kreis, treten auf der Stell und kommen einfach nicht voran. Trotz dieser scheiß Alzheimer könnte das Leben mit meinem Vater so einfach sein. Dreimal in der Woche geht er in die Tagepflege. Dort kommt er sehr gut zurecht und auch das Pflegepersonal nimmt ihn einfach so wie er ist. Eine der Pflegerinnen sagte neulich: „Ich mag Ihren Vater!“ Das freut mich und beruhigt ungemein. Ich hab auch den Eindruck, dass ihm die Tage dort sehr gut tun.

Unser Goldstück

Zuhause scheinen sich die Dinge auch allmählich einzuspielen. Unsere Haushaltshilfe packt tatkräftig mit an. Wenn sie meiner Mutter dabei hilft, den Vater umzukleiden, zu waschen oder zu duschen, dann klappt das alles geräuschlos. Sie ist ein echtes Goldstück und wir sind sehr froh, dass sie bei uns ist. Doch ist sie mal nicht da, dann kippt die Stimmung schnell.

Wie vergangene Woche. Da hatte unsere Haushaltshilfe drei Tage frei und ich konnte gar nicht so schnell schauen, wie die Situation entgleiste. Meine Mutter kommt mit dem Pflegedienst einfach nicht klar. Sie ist überfordert und wird zickig. Und einige Pflegedienst-Mitarbeiterinnen kommen mit dem Verhalten meines Vaters schlichtweg nicht zurecht. So häufen sich die Tage, an denen sie unverrichteter Dinge wieder von Dannen streichen. Klar, dass meine Mutter damit unzufrieden ist. Allerdings bekommt sie immer Hilfe in Form von mir und meinem Ehemann.

Wir zwei kommen mit meinem Vater echt gut zurecht. Bei uns ist er rasch umgezogen und auch schnell unter der Dusche. Keine Ahnung warum, aber bei uns klappt das alles relativ geräuschlos und mit nur kurzen Aggressions-Phasen, die aber nur wenige Sekunden andauern und dann schnell wieder vorüber sind. Aus der Dusche kommt jedes Mal nicht nur ein sauberer, sondern auch ein entspannter Mann. Und alle sind zufrieden. Nur sind wir eben nicht immer da und können das auch nicht auf Dauer leisten – schließlich haben wir beide auch noch einen Job.

Fehler im System

Das System Pflegedienst hat also seine Tücken. Hinzukommt, dass seitens des Pflegedienstes immer häufiger die Frage gestellt wir: „Können Sie ihm keine Beruhigungsmittel geben?“ Da frage ich mich: „Kann das die Lösung sein?“ Bei meinem Mann und mir braucht es doch auch keine Beruhigungsmittel. An dieser Stelle entsetzt mich unser Pflegsystem regelrecht, denn hier wird deutlich, was im Pflegeheim mit so einem Menschen passiert. Er wird ruhiggestellt. Und das kann ich absolut nicht verstehen. Klar geht es nicht, dass ein Patient das Pflegepersonal in Gefahr bringt. Aber ist es tatsächlich so, dass in solchen Fällen, keine Alternativen zur medikamentösen Ruhigstellung gibt?

Eine neue Studie der TK hat ergeben, dass Demenz- und Alzheimer-Patienten häufig falsch behandelt werden. Mit falsch ist in diesem Zusammenhang die medikamentöse Ruhigstellung gemeint. Aber offensichtlich gibt unser Pflegsystem keine andere Möglichkeit her. Das muss sich nicht nur meiner Meinung nach unbedingt ändern, Mit diesem Wissen, kann ich einen Menschen doch nicht ruhigen Gewissens ins Pflegeheim geben. Das macht mir ehrlich Angst.

Keine Nerven

Aber zurück zu uns. Wir hangeln uns hier von Tag zu Tag unter ständig wechselnden Bedingungen. Was heute noch richtig scheint, kann morgen schon wieder falsch sein. Gerade haben wir eine mega-beschissene Woche hinter uns, an deren Ende meine Mutter keine Nerven mehr hatte. Nein eigentlich hat sich immer dann keine Nerven mehr, wenn die Pflegesituation mit meinem Vater mal wieder entgleist. Von außen betrachtet kann ich allerding sagen, dass die Situation häufig auch wegen ihr entgleist. Egal welche Tipps man ihr im Umgang mit dem Vater gibt, sie setzt sich mit ihrem Hintern drauf. Wenn er beispielsweise am Montag um 9 Uhr in der Tagepflege sein soll, dann quält sie ihn aus dem Bett und wundert sich, dass er dabei aggressives Verhalten zeigt. Alle Mahnungen und Erinnerungen, sie soll ihn doch bitte nicht so drängen, prallen an ihr ab wie an einer meterhohen Wand. Man kommt einfach nicht zu ihr durch. Sie will JETZT, dass er um 9 Uhr in der Tagespflege ist und sie endlich ihre Ruhe hat. Dabei wäre es um so vieles einfacher und weniger nervenaufreibend, wenn sie nur einen Gang runter schalten würde. Dann kommt er eben eine halbe oder eine Stunde später dorthin. Das wäre dann zwar eine Stunde weniger Freizeit für meine Mutter, dafür aber ein stressfreier Start in den Tag. Schön wäre, wenn Mutti das jetzt auch noch kapieren würde.

Waschen! Jetzt? Pustekuchen…

Bestes Beispiel: Montag. Papa liegt noch im Bett. Mama weckt ihn nachdrücklich und sorgt dafür, dass er aufsteht. Pronto! Klar, dass Papa da schlechte Laune hat. Mit dieser miesen Laune und dem Zeitdruck, dass er gleich zur Tagespflege muss, geht es ans Umziehen. Da ist es doch vollkommen klar, dass die Situation entgleist. Und so passiert es, dass mein Vater wie von der Tarantel gestochen auf uns losgeht, als wir ihn umziehen möchten. Ich flüchte mich ins Bad, bis er sich wieder beruhigt hat. Skurrile Situation.

Dann zieh ich die Reißleine. Papa soll erst mal in aller Ruhe Frühstücken. Danach versuchen wir es nochmal. Meiner Mutter stinkt das, aber egal, ich setzt mich durch. Als ich eine Stunde später wieder zu den beiden komme, werde ich in meiner Entscheidung zu warten bestätig. Mein Vater geht mit mir ohne Murren in die Dusche und wir (Papa und ich) schaffen die große Körperwäsche allein – ohne Mama, deren Laune immer noch im Keller hängt. Hier wird deutlich, wie wichtig achtsames Vorgehen und innere Ruhe im Umgang mit einem Alzheimer-Patienten ist.

Ihr seht schon. Immer was los bei uns. Und bis zum Wochenende geht es so weiter. Schließlich beschließen meine Schwester und ich: eine 24-Stunden-Kraft muss her und unsere Haushaltshilfe muss auch bleiben. Das wird teuer. Doch ein kurzer Finanzcheck ergibt, dass Haushaltshilfe plus 24-Stundenkraft in etwa soviel kosten wie ein Heimplatz. Also versuchen wir nun das. Halleluja was für ein ständiger Spurwechsel, aber so ist das wohl, ein Leben mit Alzheimer. Das Heim kommt für uns immer noch nicht in Frage, auch aus Angst, dass unser Vater dort „ruhiggestellt“ wird. Vielleicht ist diese Sorge unberechtigt und wir werden irgendwann eines Besseren belehrt. Schließlich kann es sehr gut sein, dass wir sehr schnell an dem Punkt sind, an dem es zuhause nicht mehr geht.

Man ist da als Betroffener und Angehöriger schon in gewisser Weise hilflos und auch allein. Doch zumindest unser System Familien funktioniert noch. Zwar manchmal auch mehr schlecht als recht, aber es funktioniert irgendwie … und ja, dann ist da auch noch unsere Haushaltshilfe, unser Goldstück, und die Hoffnung darauf, auch mit der 24-Stundenkraft einen guten Menschen zu erwischen. Es muss ja kein Goldstück sein, ein Silbertaler wäre auch schon fein.

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