26. Die 24-Stunden-Kraft

Hurra, sie ist da, unsere neue 24-Stunden-Kraft. Maria aus Rumänien. Und offensichtlich haben wir mit ihr Glück. Sie übernimmt die zugegebenermaßen nicht ganz einfache Aufgabe mit der Pflege meines Vaters, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie lässt sich und vor allem ihm Zeit und gibt ihm den Raum, den er braucht. Hat er einen schlechten Tag, dann nimmt sie ihm das nicht krumm. Hat er einen guten Tag, dann lacht sie mit ihm. Und noch viel wichtiger, sie scheint auch die anfängliche Abwehrhaltung meiner Mutter zumindest angekratzt zu haben. Ich kann mir vorstellen, dass die beiden Frauen miteinander klar kommen.

Weiberwirtschaft

So schwer sich die Pflege meines Vaters auch gestaltet. Mit meiner Mutter ist es auch nicht einfach. Ja, es ist anstrengend so ein Leben mit einem an Alzheimer erkrankten Mann. Alles scheint mit einem Mal vorbei und nur noch die Krankheit bestimmt das Leben. Ja, so ist das, aber erst wenn man als gesunder Lebenspartner, ob Ehefrau oder Kind, genau das auch annimmt, dann kann es weitergehen. Ja, dann kann es auch gut weitergehen. Man muss die Situation annehmen, sonst geht man daran kaputt. Meine Mutter wehrt sich noch viel zu oft dagegen. Ist sauer mit sich und was noch viel schlimmer ist, sie ist sauer mit meinem Vater und lässt ihn das auch spüren. Aber der kann ja nun wirklich nichts dafür.

Ist doch alles scheiße

Bestes Beispiel heute Abend. Sie kommt heim vom Sport. Papa rennt ohne Hose im Haus umher. Oh Gott, was ist da los. Mama ist in heller Aufruhr. Maria kommt auch nicht an ihn ran. Will sie ihm helfen, dann schlägt mein Vater nach ihr. Also lässt sie ihn in Ruhe. Kluge Entscheidung. Meine Mutter allerdings kommt damit nicht zurecht. Wir müssen ihn jetzt anziehen, ist ihr Wunsch. Aber warum denn, wenn er heute so schlecht drauf ist? Dann läuft er halt ohne Hose rum. Geht eventuell auch ohne Hose ins Bett. Nass ist er am anderen Morgen sowieso. So what! Doch Mama setzt sich durch und Papa wird angezogen. Punkt. Ich komm etwas später dazu, weil ich höre, wie meine Mutter und mein Vater schon wieder miteinander kämpfen. Maria ist bereits zu Bett gegangen. Er muss offensichtlich auf die Toilette. Stuhlgang. Doch er kann sein körperliches Bedürfnis nicht einordnen. Weiß nicht, was er auf der Toilette machen soll. Meine Mutter zwingt ihn förmlich auf die Schüssel. Klar, dass er da wütend wird. Und es kommt wie es kommen muss. Papa wird aggressiv und Mutti flippt aus. „Ich lass mich doch nicht andauernd von ihm schlagen“ (was natürlich absolut übertrieben ist) tobt meine Mutter. Und just in dem Moment brennen bei ihr mal wieder die Sicherungen durch. Sie stellt alles in Frage. 100 gute Situationen mit einem Vater zählen nichts, wenn mal zwei, drei schlechte Situationen aufeinander folgen. Und ganz schlimm ist es nach einer unruhigen Nacht, wie der gestrigen. Wenn Papa die halbe Nacht gequasselt hat und Mama deswegen keine Auge zutun konnte. Dann ist auf einmal alles scheiße – im wahrsten Sinne des Wortes.

Körperliche Beschwerden machen aggressiv

Oh Mann. „Jetzt lass mich mal.“ Mit diesen Worten schick ich meine Mutter weg. Ich geh mit meinem Vater ein bisschen durch die Wohnung, um herauszufinden, was mit ihm los ist. Massiere ihm den Rücken. Er hat Scherzen, merke ich schnell. Ja, er muss auf die Toilette, hat allem Anschein nach auch Krämpfe im Bauch. Aber es geht halt nix. Körper und Kopf kommen nicht in Einklang und das, was raus muss, findet einfach nicht den richtigen Weg. Auf einmal kollabiert mir der Papa fast. Er schließt die Augen, taumelt und lehnt sich an die Wand. Jetzt bloß nicht umfallen. Ich halte ihn. Er macht die Augen wieder auf. Ich bringe ihn an den Tisch, setze ihn auf einen Stuhl und geb ihm zu trinken. Erst mal zur Ruhe kommen. Und er beruhigt sich auch schnell. Ich nehm an, es sind nur starke Krämpfe, hab ich auch mal. Also verabschiede ich mich wieder nach oben in meine Wohnung. Hoffen wir, die Nacht bleibt ruhig.

Zu zweit geht alles besser

In solchen Situationen muss man sich als gesunder Mensch zurücknehmen. Hier zählt zuallererst das Wohlbefinden des Kranken. Wichtig war für mich hier nur, herauszufinden, was mit Papa los ist. Warum wird er auf einmal so aggressiv. Meine Mutter konnte das an der Stelle nicht mehr. Sie drehte sich nur noch in ihrer Welt der Enttäuschung und war zu keinem klaren Gedanken mehr im Stande. Schade, denn es war heute so einfach, herauszufinden was mit meinem Vater los ist. Klar, dass man sich nicht immer zurücknehmen kann. Nein, das sollte man auch nicht tun. Gerade für den Pflegenden sind Auszeiten wichtig, sonst kommt man schnell an seine Grenzen. Aber wenn ich meiner Mutter eine Auszeit vorschlage, dann will sie das auch nicht. Die Pflege ist ihr zu viel, aber loslassen geht auch nicht. Ein Teufelskreis.

Und da sind wir wieder bei Maria. Die das alles bis jetzt noch mit Gelassenheit erträgt. Mal sehen wie lang. Ich hoffe sie bleibt uns erhalten, denn alles in allem macht meine Mutter seit sie da ist einen gelasseneren Eindruck auf mich. Sie hat jetzt immer jemanden an ihrer Seite, das stärkt sie. Kann man auch verstehen, zu zweit geht alles besser. Platter Spruch. Ist aber wahr. Und vielleicht kann meine Mutter ja auch ein bisschen von Maria lernen. „Weine nicht“, hat sie die Tage zu meiner Mutter gesagt, „denn sonst wird dein Herz krank. Sei nicht traurig, wenn dein Mann mal böse zu dir war. Er weiß das ja jetzt schon nicht mehr.“ Recht hat sie.

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