31. Neues Medikament

Die dritte Woche ist verstrichen. Seit drei Wochen ist mein Vater in der Klinik. In dieser Woche ist so viel passiert, dass ich fast gar nicht weiß, wo ich anfangen soll…

Dienstag komm ich hin und treffe den Arzt auf dem Gang. Allgemeine Hektik. Auch die Pfleger wuseln herum. Keiner hat wirklich Zeit. Der Grund liegt darin, dass die Verwaltung der Patientendaten aktuell von analog auf digital umgestellt wird. Alles was bislang kurz handschriftlich von den Pflegern vermerkt wurde, muss jetzt am Bildschirm eingepflegt werden. Auch der Medikamentenplan. Jede Umstellung fällt schwer, auch wenn sicherlich allen klar ist, dass alles irgendwann leichter wird, wenn es denn mal läuft. Natürlich hat der Arzt keine Zeit für mich. Okay, das seh ich ein. Blöd nur, dass ich jetzt so gar nichts weiß. Stellt man die Medikamente meines Vaters nun um oder doch nicht? Ich bemühe mich um ein verständnisvolles Gesicht. Doch wahrscheinlich schau ich enttäuscht aus der Wäsche. Der Arzt hat wohl Mitleid mit mir und kommt doch auf mich zu. In einem kurzen, sehr kurzen Gespräch erfahre ich, dass ein neues Medikament für meinen Vater angesetzt ist. Clozapin.

Saurer Apfel

Vergangene Woche musst ich noch dafür unterschreiben, dass wir in die Behandlung mit dem Medikament Clozapin einwilligen. Ein Medikament mit krassen Nebenwirkungen. Während des Aufklärungsgespräches wurde mir regelrecht schlecht. Doch man erklärte mir, dass es die wahrscheinlich letzte Chance wäre, auf eine positive Veränderung bezüglich der Aggressionen meines Vaters. Alle anderen Medikamente verträgt er nicht, zeigt massive Nebenwirkungen oder sie greifen bei ihm nicht. Das ist also der Stand der Dinge. Medikament sind leider bei Aggressionen häufig unumgänglich. Ich hätte es auch gern anders, aber wir müssen wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Zum Glück habe ich einen tollen Hausarzt, an den ich mich mit meinen Fragen jederzeit wenden kann. Er hat mir auch noch einmal erklärt, was es mit Clozapin auf sich hat und konnte mir damit meine Bedenken etwas nehmen.

Reden, fragen, austauschen, informieren

An dieser Stelle möchte ich euch alle da draußen, die ihr vielleicht gerade mit demselben Problem zu kämpfen habt, dazu aufrufen: SUCHT EUCH HILFE! Redet, frage, tauscht euch aus … das ist so wichtig! Habt ihr keinen so tollen und hilfsbereiten Hausarzt wie ich, egal. Dann greift zum Telefon und ruft bei einer Alzheimer-Beratungsstelle an oder bei eurer Krankenkasse oder, oder, oder. Lasst euch auf jeden Fall was einfallen und begrabt euch nicht mit eurem Kummer, euren Ängsten und Zweifeln zuhause. Da hilft euch keiner!

Clozapin also…

Die ersten Tage mit dem neuen Medikament vergehen. Mein Vater erscheint etwas unruhiger, aber auch deutlich klarer. Das andere Medikament hat ihn offensichtlich so sehr gedämpft, dass er weiter in seine Welt abgeglitten ist, als es ohne Medikament passiert wäre. Mit dem neuen Medikament versteht er auf einmal wieder mehr. Formuliert bessere Sätze und reagiert auf Aufforderungen häufiger adäquat – also richtig und nicht komplett am Thema vorbei wie sonst oft. Allerdings wird er zum Ende der Woche etwas unruhiger. Doch die Pfleger berichten, er wäre besser zu pflegen. Na, warten wir es ab. Mal sehen wohin das Clozapin uns führt.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass mein Vater sehr zufrieden ist. Am Dienstag beispielsweise saßen wir gemeinsam im Klinikgarten in der Sonne. 20 Grad Außentemperaturen haben es möglich gemacht und wir haben die Wärme genossen. Das sind die Momente, die ich gerne mitnehme. Er saß einfach da … in der Sonne. Keine Unruhe. Keine Aggression. Einfach ein zufriedenes Gesicht. Wir haben uns mit einer Pflegerin unterhalten und gelacht. Über was und warum kann ich gar nicht mehr sagen. Es war entspannt und lustig. Wir haben über irgendwas geredet und Spaß gehabt. Einfach schön. Solche Momente muss ich will ich abspeichern, damit sie bleiben, neben all dem Alzheimer-Chaos. Sie bringen uns hinaus aus all dem und lassen für den Moment alles normal erscheinen. Auch wenn mein Vater in Klinikkleidung und ohne Schuhe auf der Sonnenterrasse sitzt. Egal – dieser gute Moment gehört uns.

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