Eigentlich wollte ich euch heute von unserem Urlaub erzählen. Eine kurze Auszeit, die so nötig war. Wir hatten ein paar wunderbare Tage in Holland am Meer. Haben die Zeit dort genossen, ohne Termine, ohne Dinge, die unbedingt erledigt werden müssen – einfach mal den Kopf frei bekommen … und der frische Nordseewind hat uns die Birne auch mal so richtig freigeblasen.
Doch kaum waren wir zuhause, nahm uns diese scheiß Alzheimer wieder voll in Beschlag. Ihr glaubt es nicht, ich glaub es ja selbst kaum, aber wir waren keine zehn Minuten zuhause, da rief auch schon meine Schwester an. Mama war gerade in der Klinik angekommen und Papa lag nun schon den zweiten Tag im Bett. Sonntagabend muss er wohl so kaputt gewesen sein, dass er sich nicht mehr auf dem Stuhl halten konnte, keine Gabel zum Mund führen, geschweige denn einen Trinkbecher. Mühevoll haben meine Mutter und meine Schwester ihn gefüttert und nach dem Essen wurde er sofort ins Bett gebracht. Und in denselben Klamotten, immer noch im Bett liegend, fand ihn meine Mutter am Montagnachmittag wieder vor. Das Entsetzen war groß bei der Annahme, dass er seit Sonntagabend immer noch im Bett lag. Wie sich später herausstellte, war dem nicht so. Er lag wieder im Bett, weil er nach dem Essen sehr müde wurde. Zwischendurch war er wach. Er hatte nur noch immer die Klamotten von Sonntag an, weil er wohl am späteren Sonntagabend, bei der Abendpflege wieder aggressiv wurde und die Pflegekräfte ihn dann eben so gelassen haben, wie er war.
The same procedure as every weekend
An drei Wochenenden in Folge zeigt sich uns dieses Bild. Regelmäßig zum Wochenende hin, stürzt der Papa ab, ist extrem müde, kaum ansprechbar, ja geradezu sediert. Der Verdacht schleicht sich ein, dass man ihn immer am Wochenende „stilllegt“, weil schlichtweg zu wenig Personal vor Ort. Doch ich möchte mich da mit meinen Annahmen und Vermutungen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Ja, die Station ist – wie wohl alle Stationen in der Altenpflege – häufig unterbesetzt. Dann kommt noch die Grippe- und Erkältungszeit dazu und schon ist die Kacke am Dampfen. Irgendwie versteh ich sogar, dass man sich dann so behilft. Aber für mich als Angehörige ist das schier unerträglich meinen Vater so „abgeschossen“ zu sehen.
Trotzdem versuche ich die Situation immer in guten Gesprächen, auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt zu klären. Dabei stellen wir fest, dass uns das (gelinde gesagt) nicht gefällt, dass unser Vater immer am Wochenende so runtergefahren wird, zeigen dabei aber auch Verständnis für die Pflegekräfte – alles in allem ein gutes Gespräch. Bis auf einen Aussetzer einer Pflegekraft, die meinte „wenn wir Beschwerden hätten, dann können wir meinen Vater auch gerne wieder mit nachhause nehmen.“ Autsch. Das saß und fällt in die Kategorie klassische Fehlleistung. Ich für mich kann nur sagen, es menschelt sehr. Diese Pflegekraft war offensichtlich an ihrer psychischen Kräftegrenze angelangt. Und ich vermute, sie ist damit nicht allein. Dabei hoffe ich inständig, dass sie trotzdem noch genug Kraft hat, meinen Vater angemessen zu versorgen. Wie und ob sie das schafft, mag ich gar nicht hinterfragen…
Aufgeregtes Rätselraten: was ist los?
Am Dienstag dann dasselbe in Grün. Mama ruft in der Klinik an, fragt wie es Papa geht und bekommt die Auskunft, er liege nach dem Mittagessen schon wieder im Bett. Man sagt ihr, sie solle heute zuhause bleiben. Langsam kommt uns das spanisch vor. Normalerweise erholt er sich nach der Wochenend-Zwangspause immer wieder recht schnell. Warum dieses Mal nicht. Ich greife zum Hörer und rufe den Arzt an. Er nimmt sich meiner Sorgen und Ängste an. Erklärt mir, dass man nicht wisse woran es liege. Es können immer noch Auswirkung der Bedarfs-Medikation vom Wochenende sein. Es können aber auch Nebenwirkungen des neuen Medikamentes sein. Wir müssen abwarten. Leichter gesagt als getan. Auf was sollen wir den warten, die scheiß Alzheimer lässt uns doch kaum Zeit.
Ein Infekt?
Heut am Mittwoch, wir müssen in die Klinik, weil ein Gerichtstermin anberaumt ist, an dem über die weitere Unterbringung in einer geschlossenen Gerontopsychiatrie entschieden werden soll. Der erste Beschluss belief sich auf 6 Wochen und die sind in ein paar Tagen um. Gegen 14:30 Uhr kommen wir dort an. Papa liegt wieder im Bett und es zeigt sich und ein dramatisches Bild, denn er lässt sich nicht aufwecken. Er schläft tief und fest. Auf Ansprache reagiert er nicht. Was ist los. Der Oberarzt kommt, macht ein paar Tests. Wir stehen vor der Tür, solange der Arzt drinnen untersucht. Ich höre in laut sprechen. „Herr B., Herr B., hallo!“ Mir wird schlecht und ich laufe erst mal weg. Dann lassen uns die Ärzte wieder ins Zimmer. Geben uns Auskunft: Er reagiere noch. Also erst mal Entwarnung. Doch wach wird er immer noch nicht. Sind das nun die gefürchteten Nebenwirkungen des neuen Medikaments? Zudem hat er etwas erhöhte Temperatur. Entwickelt er vielleicht einen Infekt?
Gefährliche Nebenwirkungen
Der Fächer der Nebenwirkungen ist bunt. Reicht von Schläfrigkeit über Sedation bis hin zum Koma, Herzmuskelentzündung, Rückgang der weißen Blutkörperchen oder plötzlicher Tod. Darüber wurden wir zu Anfang der Behandlung aufgeklärt und natürlich schwirrt mir das jetzt im Kopf herum. Hellhörig werde ich, als der Oberarzt den Stationsarzt nach dem CPK-Wert fragt. „Was ist das?“, platzt es aus mir heraus. „Ein Entzündungswert“, die Antwort. Aha. Meine grauen Zellen laufen auf Hochtouren, von diesem Wert hab ich doch schon einmal gehört. Jetzt fällt es mir wieder ein. Ist der CPK-Wert erhöht, dann deutet das auf eine Herzmuskelentzündung hin. Oh je, also wird darüber nachgedacht. Gleichzeitig kann ich aber eigentlich auch beruhigt sein, denn er wird überwacht. Sie haben ein sicheres Auge auf meinen Paps. Was genau hinter dem CPK-Wert steckt, sage ich weder meiner Mutter, noch meiner Schwester. Ich möchte sie nicht beunruhigen. Und morgen wissen wir hoffentlich mehr. Drückt uns die Daumen, dass es meinen Paps morgen wieder besser geht und ich ihm bald die schönen Fotos von unserem Urlaub am Meer zeigen kann. Das wäre mein einziger kleiner Wunsch für heute.