37. Licht am Ende des Tunnels

Wer mich kennt, der weiß, dass ich immer nach Wegen und Möglichkeiten suche. Stillstand oder Jammern ist nicht – oder zumindest nicht für längere Zeit. Irgendeine Idee habe ich immer, irgendwas fällt mir immer ein. Deshalb auch heute wieder eine positive Überschrift für meinen Beitrag. Ja, ich sehe ein Licht am Ende des Alzheimer-Tunnels. Obwohl es mir die letzten Tage mehr als schwer gefallen ist, überhaupt irgendetwas zu sehen, geschweige denn Ideen zu entwickeln. Mein Herz ist schwer. Das ist alles.

Aber jetzt von vorn: Von den starken Nebenwirkungen habe ich erzählt, die sich bei meinem Vater aufgrund der neuen Medikation (Clozapin) eingestellt haben. Also wurde das Medikament abgesetzt, bzw. langsam ausgeschlichen. Und heute zwei Wochen später geht es tatsächlich mit ihm bergauf. Von Tag zu Tag erwacht er wieder aus seinem Dämmerzustand.

Was für ein Krampf

Er konnte über nur gut zwei bis drei Wochen quasi nichts koordinieren. Keine Bewegungen, er fand mit der Hand weder Nase noch Mund. Ich hatte den Eindruck, das er auch nichts oder nur verschwommen gesehen hat. Sein Köper war ein einziger Krampf. Will heißen – quasi jede seiner Muskeln waren total hart und steif. Man konnte ihn kaum bewegen. Beine anwinkeln funktionierte nur unter höchste Kraftaufwendung von uns und den Pflegern. Seine Muskeln wehrten sich schlichtweg gegen alles. Zudem saß er schief und krumm in seinem Rollstuhl. Er kippte immer nach rechts und hatte offensichtlich auch Schmerzen – wahrscheinlich im Rücken, aber so genau wissen wir das nicht. Sagen kann er ja nix.

Reagiert hat er auch nicht mehr oder nur in den seltensten Fällen mit einem kurzen Aufschauen, bevor er direkt wieder in seine Alzheimer-Welt hinein verschwand. Reden? Fehlanzeige. Er war einfach verstummt. Wie eine leere Hülle saß er da in seinem Rollstuhl. Sein Körper war da. Seine Psyche schien unerreichbar.

Stehaufmännchen

Ich hatte die schlimmsten Befürchtungen. Doch siehe da, unser Stehaufmännchen ist wieder da. Er isst wieder selbständig, findet Mund und Nase und wenn die Ohren jucken, wandert der Finger zielgerichtet hinein. Und er redet wieder ?. Das hört sich alles so lapidar an. Doch für mich bedeutet es im Moment die Welt. Er sitzt auch wieder aufrecht im Stuhl und allmählich scheint sich auch die verkrampfte Muskulatur zu lockern. Ich möchte gar nicht wissen, was er für einen Muskelkater hat. Die Beine sind noch schwach. Deshalb sitzt er immer noch im Rollstuhl. Niemand weiß, ob das so bleiben wird.

Gestern haben Micha und ich versucht ihn hinzustellen, denn wir hatten den Eindruck, dass er aufstehen wollte. Er stand dann auch, mit unserer Hilfe, aber seine Beine waren so schwach, dass kein Schritt möglich war. „Möchtest du wieder hinsitzen?“, frage ich und er antwortet mit einem Ja. Aggressionen zeigt er aktuell keine mehr. Was allerdings passieren wird, wenn die Kräfte wieder zurückkommen, das steht in den Sternen…

Neue Station – neue Situation

Soweit also sein körperlicher Zustand. Der ohne Zweifel ein Licht am Ende des Tunnels erblicken lässt. Doch dann trifft uns zum Ende der Woche ein anderer Hammer. Es ist Freitagnachmittag, meine Mutter und unsere Haushaltshilfe gehen meinen Vater besuchen. In seiner Station angekommen, werden sie bereits am Eingang abgefangen: „Ihr Mann ist nicht mehr bei uns. Er wurde verlegt in die offene Abteilung.“ Bis Dato war mein Vater in der geschlossenen Abteilung, weil er ja immer davonlaufen wollte. Jetzt sitzt er im Rollstuhl, also ab mit ihm in die offene.

Wir waren alle geschockt. Bedeutet doch eine Verlegung in die offenen Abteilung, dass die Ärzte davon ausgehen, dass mein Vater nie mehr aus seinem Rollstuhl kommt. Dabei habe ich erst zwei Tage zuvor mit dem Arzt gesprochen. Hab ihn explizit darauf angesprochen, ob wir damit rechnen müssen, dass mein Vater im Rollstuhl bleiben wird. Dazu könne man keine Prognosen abgeben. War seine Antwort. Man müsste noch zuwarten, bis die Medikamente vom Körper vollständig abgebaut sind. Und jetzt, kaum zwei Tage nach diesem Gespräch, wird er verlegt, in die offenen Abteilung, weil er ja nicht mehr weglaufen könne. Ich versuche einen Arzt zu erreichen, will mehr Auskünfte. Unser behandelnder Arzt, weiß nicht mal, dass mein Vater verlegt wurde. Er frage nach und rufe mich wieder an. Nichts. Niemand ruft zurück und bis heute (Sonntag) habe ich keine Auskunft von einem Arzt, was denn nun genau zur Verlegung geführt hat.

Scheißladen

Aber ich wäre nicht ich, wenn ich nicht am Samstag direkt in die Klinik gefahren wäre. Dort hab ich mich durchgefragt. Bin in die Station gegangen, in der mein Vater bis Freitag untergebracht war und hab die Pfleger gelöchert. Zum Glück habe ich einen guten Draht zu dem Team dort und ich bekam Auskunft. Es ist also noch nichts verloren, man hat ihn nur aus Platzgründen verlegt, weil er ja aktuell tatsächlich nicht laufen kann. Sobald sich das ändern würde, kommt er wieder zurück. Warum uns die Ärzte darüber nicht informiert haben, das ist den Pflegern auch schleierhaft. Meine Irritation und die Aufgebrachtheit meiner Mutter konnte man auf Seiten der Pflegekräfte verstehen.

Soweit, so gut. Am Montag werde ich dann einen erneuten Versuch bei den Ärzten starten. Solange sorge ich dafür, dass es meinem Vater in der neuen Station gut geht. Versorge das neue Pflegeteam mit allem was meines Erachtens wichtig ist und siehe da, dort ist man mir dankbar dafür. Es werden jetzt natürlich wieder Anlaufschwierigkeiten aufkommen, bis bei allen Pflegekräften alle Infos angekommen sind. Bei der obligatorischen Übergabe gehen doch leider immer wieder Infos verloren. Darüber hab ich mich gestern auch ziemlich aufgeregt und habe das im Beisein meines Vaters meinem Mann erzählt. Auf einmal sagt mein Vater „Das ist doch ein Scheißladen.“ „Ja, da hast du recht“, antworte ich „aber ich sorge dafür, dass alles läuft!“ … Scheißladen … wir haben uns alle vor Lachen die Bäuche gehalten.

Und die Moral von der Geschicht: Ohne Lachen, geht es nicht! ?

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