38. Positive Energie

Ja, positive Energie … die konnte ich in der vergangenen Woche wahrlich gebrauchen. Aktuell komm ich allerdings ziemlich dünnhäutig daher. Was ist passiert?

Nun, das Gespräch mit der neuen Ärztin (nach der Verlegung) meines Vaters verlief erfreulich. Eine sehr nette und kompetente Frau, die mir alles ausführlich erklärte. Dabei kam dann endlich auch zur Sprache, dass die Nebenwirkungen, die sich bei meinem Vater in den vergangen 14 Tagen zeigten, echt kritisch waren. Malignes neuroleptisches Syndrom nennt man sie. Ich erspar euch die Einzelheiten. Wer mag, die Suchmaschinen geben gerne und ausführliche Auskunft darüber.

Im Ergebnis heißt das nun für meinen Vater, dass er nie mehr mit Neuroleptika behandelt werden darf. Also kein Pflegedienst und keine Pflegekraft mehr, die einfach mal so dahersagen darf „Ihr Vater muss NEU EINGESTELLT werden.“ Das geht nun nicht mehr. Jetzt sind alle gefordert, sich tatsächlich auf die Person zu konzentrieren. Bin schon gespannt, wie das klappt. Sorry, für den sarkastischen Unterton und ich entschuldige mich auch gleich wieder bei allen Pflegekräften, die sich bisher schon wirklich sehr um meinen Vater bemühen. Ihr seid toll. Aber es gibt auch die anderen und die nerven mich sehr.

Wenn gar nichts mehr geht

Traurig macht mich allerdings die Tatsache, dass es soweit hat kommen müssen. Dass wir erst mal alles ausprobieren mussten und dass mein Vater nun derart kaputt ist. Denn eines ist klar: Die Krankheit erledigt ihre Arbeit, den Rest haben ihm die Medikamente gegeben. Ja, er wäre irgendwann im Rollstuhl gesessen, von ganz allein. Das passiert halt bei dieser scheiß Alzheimer. Aber jetzt hätte das noch nicht sein müssen. An dieser Situation sind nun ausschlaggebend die Medikamente beteiligt. Und es kostet mich alle Kraft, bei dieser Tatsache nicht unglaublich wütend zu werden.

Gleichzeitig weiß ich natürlich um den Umstand, dass auch wir es nicht geschafft haben, ihn zuhause zu pflegen. Ja, auch wir sind daran beteiligt, dass das alles jetzt passiert ist. Und ja, es gab keinen anderen Weg. Wie gerne hätte ich die Pflege meines Vaters alleine geschafft und natürlich zuhause. Wie sehr habe ich mir Unterstützung seitens eines Pflegedienstes erhofft, denn diese Unterstützung hätten wir gebraucht. Und wie gerne hätte ich ihn in einem Heim gewusst, dass sich auf die Aggressionen eingelassen hätte, so wie sie sich vor dem aktuellen Klinikaufenthalt zeigten. Doch das war alles nicht möglich. „Bei uns nicht.“ Hieß es all überall. Und auch die Ärzte sagten „So wie ihr Vater sich aktuell zeigt, nimmt ihn kein Heim.“ Das ist schon ein Armutszeugnis und zeigt doch wie sehr wir Patienten und Angehörige dem System unterworfen sind.

Was jetzt? Es funktionieren keine Neuroleptika mehr. Also wird mein Vater – auch wenn er nun im Rollstuhl sitzt und dort wahrscheinlich auch bleiben wird – wieder Aggressionen zeigen. Ja, er zeigt sie bereits. Wie immer bei der Körperpflege. Und jetzt muss man in der Pflege damit umgehen.

Norovirus

Doch damit noch nicht genug. Kaum war mein Vater in der neuen Station hat ihn der Norovirus erwischt. Zum Glück keine allzu schwere Variante, aber dennoch hieß das für ihn: eine Woche Isolation. Eine Woche das Zimmer nicht verlassen. Noch eine Woche im Bett. Noch eine Woche Muskelabbau. Eine Woche nur kurze Besuche und jedes Mal Infektionsschutzmaßnahmen vom Feinsten. Unter diesen Kitteln, dem Mundschutz und den Handschuhen hält man es kaum aus. Länger als eine halbe Stunde täglich konnten wir nicht bei ihm sein. Innerlich hat mich das aufgefressen. Doch jedes Mal, wenn ich bei ihm war, hatte ich den Eindruck, ich leide mehr als er. Keine Ahnung, ob das wirklich so ist und niemand kann in ihn hineinschauen. Aber wenn es so wäre, dann wäre ich froh. Wenigstens ein positiver Aspekt der Alzheimer-Krankheit. Doch jetzt ist die Woche ja rum und ich kann mich wieder erholen.

Sprachlos

Und erholen muss ich mich wirklich. Mein Emotionsfaden war in dieser Woche derart angespannt. Neue Station, immer noch Nebenwirkungen von dem einen Medikament, Rollstuhl, Norovirus und dann noch eine Pflegekraft, die mich wirklich sprachlos gemacht hat. Leider im negativen Sinn. Einen Tag war ich bei meinem Vater in der Klinik. Als ich reinkam sehe ich, wie sein Bettnachbar bei ihm steht und einfach mal auf ihm rumklopft. Mit der Hand in den Nacken. Meine Vater saß da gerade im Rollstuhl. Er wehrte sich nicht. Wie von der Tarantel gestochen geh ich dazwischen. Puh. Noch mal Glück gehabt, der Mann beruhigt sich. Als ich das Zimmer wieder verlasse, stehen mir die Tränen im Gesicht und ich bitte die Pflegekraft, „zwischendurch mal einen Blick mehr in das Zimmer zu werfen, weil der Zimmernachbar gerade meinen Vater verklopfen wollte.“ Die Antwort der Pflegekraft hat mich umgehauen: „Naja, Ihr Vater ist doch auch nicht ohne!“ Wusch! Was soll ich mit dieser Aussage anfangen. Soll das heißen, mein Vater hat es verdient verklopft zu werden, weil er selbst Aggressionen zeigt. Was für eine empathielose Person. Sprachlos (was mir selten passiert) verlasse ich die Klinik und weine auf dem Nachhauseweg.

Einfach mal danke sagen

Zum Glück sind nicht alle so. Nein eigentlich sind die meisten dort toll. Was mir besonders positiv auffällt ist, dass mein Vater immer wie aus dem Ei gepellt aussieht. Trotz Aggressionen und trotz Noro ist er immer ordentlich gepflegt. Der Scheitel sitzt. Das sage ich auch einer Pflegekraft und bedanke mich dafür. Sie ist sichtlich irritiert. Passiert ihr wohl nicht oft, dass sich Angehörige bei ihr bedanken. Dabei ist das so wichtig. Ich finde diese Menschen in der Pflege leisten tolle Arbeit. Und wir Angehörigen sollten das auch honorieren. Nicht mit Geld, nein. Mit Anerkennung, mit einer netten Geste und über die wenigen Empathielosen sollten wir geflissentlich hinwegsehen. Positive Energie verbreiten. Das hilft uns allen. Think Pink!

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