Wenn Menschen zusammenkommen, dann prallen unterschiedliche Ansichten, Temperamente und Charaktere aufeinander. Kommen diese Menschen freiwillig zusammen, weiß im Grund jeder worauf er sich einlässt und jeder versucht mit den Stärken, Schwächen oder Eigenheiten des anderen umzugehen.
Anders, wenn diese Menschen nicht freiwillig zusammenkommen, wenn sie gar noch voneinander abhängig sind – genauso wie eben in einem Pflegeheim. Dann kann ein harmonisches Miteinander mitunter schwierig werden. Und wo eben noch alles ruhig verlief, platzt auf einmal irgendeinem der Kragen…
Genauso oder ähnlich ist es am vergangenen Wochenende bei meinem Paps im Pflegeheim passiert. Wir alle wissen, dass die Körperpflege bei meinem Vater schwierig ist, dass er aus Angst und weil er einfach nicht möchte, dass man ihm die Windel wechselt, dass man ihn wäscht oder umzieht, aggressiv wird. Aus Angst, aus Scham oder aus allem zusammen wird Wut und wenn er eine Hand oder einen Arm zu packen bekommt, dann drückt er gerne mal heftig zu. Ich weiß das und ich weiß auch, dass diese Problematik jetzt, nachdem das Tavor abgesetzt wurde, wieder verstärkt auftritt.
Deshalb stehe ich im ständigen Austausch mit den Pflegern. Zum einen, weil ich nicht möchte, dass meine Paps wieder Tavor bekommt. Was der Neurologe übrigens auch nicht möchte, denn das Tavor macht meine Vater kaputt. Zum anderen, weil ich auch nicht möchte, dass die Pflegekräfte in eine Situation kommen, in der es für sie nicht mehr weitergeht. Und natürlich bleibe ich auch deshalb im engen Austausch mit den Pflegern, um frühzeitig alles in die Wege leiten zu können, dass mein Vater Cannabis bekommt, um bei der für ihn stressigen Körperpflege etwas entspannen zu können. So ist die Absprache zwischen Pflegeleitung, Wohngruppenleitung und mir.
Unerwartete Vorwürfe
Nun ist Ferienzeit und sowohl Pflegeleitung als auch Wohngruppenleitung sind im Urlaub. Und wie heißt es so schön: Ist der Herr aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf den Tischen. Naja, in unserem speziellen Fall war es jetzt nur eine Maus und trotzdem hat mich ihr Tänzchen mehr als getroffen. Was ist passiert? Wir saßen sonntags auf der Terrasse vor dem Zimmer meines Vaters. Er hatte sich eingenässt und ich ging los und suchte nach einer Pflegkraft, die uns hilft, ihn wieder sauber zu machen. Sie (2 Pflegerinnen) kommen dann auch gleich und machen es selbst. Ich hatte noch angeboten zu helfen, weiß aber dann auch nie, ob das angebracht ist oder nicht. Vielleicht sollte ich das mal ansprechen. Doch wahrscheinlich sieht das jede Pflegekraft anders. Naja egal. Die 2 Damen kamen also und schnappten sich meinen Vater. Ich schreibe bewusst schnappten, weil ich es nicht ganz nachvollziehen konnte, warum sie in quasi ins Bad gezerrt haben. Er läuft nicht so schnell, aber sie hatten es wohl eilig. Es liegt mir fern zu meckern, denn wir brauchen ja die Hilfe dieser Pflegekräfte, sonst würde mein Vater noch bei uns zuhause leben. Deshalb halte ich meinen Mund und hatte es auch schnell wieder vergessen.
Als sie zusammen wieder aus dem Bad zurück auf die Terrasse kommen, höre ich noch wie eine von ihnen „Aua“ sagt. Ich denke mir noch „hä, was kann jetzt noch wehtun, ihr seid doch fertig.“ Und nehme ihn lächelnd in Empfang. Sage noch“ Hast du wieder zugepackt?“ Und will dann die Pflegerin fragen, ob und warum er ihr wehgetan hat. Aber ich komme nicht mehr dazu, denn mir knallen die Worte „Das ist nicht zum Lachen. Das tut weh und wir sind mittlerweile alle blau an den Händen“, entgegen. Ich sehe allerdings keine blauen Hände. Wundere mich über die harsche Ansprache und bin bedient. Ich brauche eine Weile, bis ich realisiere, was da gerade passiert ist und weiß: Das kann ich so nicht stehen lassen.
Was ist eigentlich mit dem Cannabis?
Also gehe ich der Pflegekraft hinterher und suche das Gespräch. Die zweite Pflegerin, blieb im Übrigen die ganze Zeit über ruhig. Wir reden ein bisschen miteinander, allerdings ohne wirklichen Konsens. Mir wird unser Lachen vorgeworfen und noch anderes wirres Zeugs. Dann gibt sie kurz zu, dass sie vielleicht auch mal einen schlechten Tag hat. Ja klar. Verstehe ich vollkommen. Die Gruppenleiterin kommt dazu und auch sie wird verbal angegangen. Ich frage: „Was denn mit ihr los sei“, keine andere Pflegekraft hat bislang gesagt, dass es so schlimm ist. Der allgemeine Konsens ist dementgegen eher so, dass es zwar schwer ist, aber es sei zu bewältigen. Sie beruhigt sich kurz, wettert dann aber weiter. „Ich schreib das doch immer in den Computer.“ Und blickt vorwurfsvoll zur Gruppenleiterin. Auch die ist etwas verunsichert.
Und die Pflegerin weiter: „Was ist eigentlich mit dem Cannabis? Da passiert ja auch nix.“ Ich versuche ihr den Stand der Dinge zu erläutern und dass ich doch immer mit allen im Austausch bin und dass das Thema Cannabis noch nicht anstehen würde. Dabei werde ich den Eindruck nicht los, dass mir hier eine Pflegerin gegenübersteht, die noch voll und ganz auf Medikamente setzt und frage mich, hat sie schon einmal etwas vom Personen-zentrierten Ansatz gehört. Hat sie mit Sicherheit, aber heute will sie einfach nicht. Sie wirft mir dann nochmal vor, dass wir gelacht haben, dass wir es tatsächlich wagen, mit meinem kranken Vater Spaß zu haben. Mit meinem Vater, den ich am Abend wieder im Pflegeheim zurücklassen muss und eine Mutter, die ich mit nachhause nehmen muss, die heute Abend wieder alleine zuhause ist, in dem Haus, dass sie zusammen mit ihrem Mann gebaut hat und in dem sie mit ihm alt werden wollte. Ich verstehe die Welt nicht mehr.
Heute, eine Woche später trage ich diese Situation immer noch mit mir herum. Ich bin getroffen, weil ich damit einfach nicht gerechnet habe. Und da fällt mir wieder diese eine Satz meines Vaters ein, nach dem ich auch diesen Blog benannt habe „Die sind doch alle verrückt.“ und ich frage mich: Hat er recht? Sind nicht doch wir die Verrückten? Wer weiß…
Die Gruppenleiterin erzählt mir dann noch, dass es tatsächlich zwei Wochen lang ziemlich schwierig mit meinem Vater war, dass man sogar den Neurologen konsultiert habe. Doch der war gerade auf dem Weg in den Urlaub und hat, wenn ich das richtig verstanden habe, auch nochmal auf die Entzugserscheinungen (verstärkte Agitation und Aggression) hingewiesen, die nach Absetzen von Tavor auftreten können. Die aber nach einiger Zeit wieder abklingen sollten. So hat man im Pflegeteam beschlossen, zu warten bis der Neurologe aus dem Urlaub wieder zurück ist. Ich im Gegenzug habe zugesagt, dass ich mich nun verstärkt um die Verordnung von Cannabis kümmere, aber das benötigt eben seine Zeit und ist auch nicht ganz so einfach, wie ich mir das vorgestellt habe. Aber darüber erzähle ich euch ein anderes Mal.
Der Ton macht die Musik
Für heute belasse ich es damit, dass der Mensch, eben auch nur ein Mensch ist und die Pflegekraft eben auch. Ja, man darf mal am Ende seiner Kraft sein. Doch der Ton macht die Musik – wie überall. Und eine respektvolle Kommunikation auf Augenhöhe ist alles. Ich bemühe mich darum und hoffe, mein Gegenüber tut das auch. Klappt nicht immer, das ist wohl so unter Menschen. Ganz besonders unter denen, die nicht freiwillig zusammenkommen. Und dabei erkenne ich mal wieder, dass es nicht nur wichtig ist, sich auf die Kommunikation mit dem Menschen mit Demenz zu konzentrieren, es ist auch wichtig, mit den Pflegekräften ordentlich zu kommunizieren. Doch das beruht natürlich auf Gegenseitigkeit.
Ja, das war jetzt mal eine schlechte Erfahrung mit einer Pflegekraft. Nichts desto trotz sehe ich meinen Vater in diesem Heim sehr gut aufgehoben. Ich mag die Atmosphäre und Stimmung dort – vielleicht bin ich auch deshalb so überrascht und verletzt von dieser einen Reaktion. Und naja, der Wohnbereichsleiter ist mittlerweile aus dem Urlaub zurück, die Pflegedienstleiterin kommt auch bald wieder und ich, ja ich kümmere mich dann jetzt mal um die Indikationsstellung für die Gabe von Cannabis. Indikationsstellung? Das ist so ein Wort, das mir wohl noch einiges an Arbeit und Willenskraft abverlangt. Aber ich möchte, dass es meinen Vater gut geht und dass wir noch viele Tage lachend auf seiner Terrasse sitzen können und das Leben so genießen, wie es sich für uns eben gerade zeigt – auch mit dieser scheiß Alzheimer.
Bild von Susanne Jutzeler, suju fotografie auf Pixabay