Erst kürzlich war ein großer Tag. Meine Mutter feierte ihren 70. Geburtstag und wir haben meinen Vater zum ersten Mal seit seinem Einzug im Seniorenheim zu einem Ausflug abgeholt. Der Ausflug ging in eine Gaststätte, in der meine Mutter mit Familie und Freunden feierte. Großer Tag also – für uns alle – irgendwie.
Für so einen Tag muss natürlich alles gut vorbereitet sein. Tags zuvor brachten wir elegante Ausgehklamotten für meinen Paps ins Heim. Mit den Pflegern haben wir besprochen, wann wir ihn abholen und dass er dann doch bitte angezogen und frisch gepflegt bereit sein soll. Ein anspruchsvolles Wunschpaket, denn wer einen an Demenz oder Alzheimer erkrankten Menschen pflegt oder schon einmal gepflegt hat, der weiß: fertig gewaschen und umgezogen zu einem bestimmten Zeitpunkt, das ist nicht immer möglich.
Der große Tag
Entsprechend nervös waren wir, als wir dann an Tag X in Richtung Seniorenheim aufbrachen. Mein Mann Micha und ich haben meinen Paps abgeholt und als wir ins Heim hineinkamen, kam uns eine Pflegerin schon freudestrahlend entgegen. Ich habe ich fertig gemacht, gewaschen, gekämmt und angezogen. Hach, ein Stein fiel mir vom Herzen. Als wir dann bei Paps ankamen, waren wir dann doch erstmal erschrocken. Er saß ganz schräg in seinem Stuhl. Was ist los? Hat er Schmerzen? „Hallo Papa, sage ich“. Als Antwort kam: „Geh mir weg mit den Klamotten.“ Ach je, das Umziehen hat ihn offensichtlich genervt. „Sorry, Paps, aber deine Frau hat heute Geburtstag, da willst du doch gut aussehen, oder?“ Ob er es verstanden hat oder nicht keine Ahnung. Als wir ihn dann aber aufrecht in seinem Stuhl positioniert hatten, war dann auch die Laune wieder auf „Sonnig“ eingestellt. „Gut siehst du aus“, sagte ich zu ihm und ein fröhliches Lächeln kam zurück. Und er sah wirklich gut. Ich bedankte mich noch einmal bei der Pflegerin, die sich an diesem Nachmittag um ihn gekümmert hat (wie froh ich über solche Menschen bin, brauch ich nicht nochmal zu erwähnen), und dann ging es los.
Einsteigen bitte
Zum Glück war die Physiotherapeutin im Haus, denn sie ging mit uns raus und half uns, den Paps ins Auto zu packen. Ist gar nicht so einfach, denn er weiß ja nicht mehr wie das Einsteigen funktioniert. Aber mit Hilfestellung der Physiotherapeutin und ein paar wichtigen Tipps für die Nachhausefahrt später, hat das Einsteigen ganz gut geklappt. Oben aufpassen, dass er den Kopf nicht anhaut. Unter klarmachen, dass er sich hinsetzen kann und dann ging es fast von selbst. Als er endlich im Auto saß, angeschnallt und abfahrtbereit, trauten wir unseren Augen und Ohren kaum. Lässig wanderte seine rechte Hand nach oben an den Handgriff über dem Seitenfenster und er hielt sich daran fest.
Als der Motor startete winkte er der Physiotherapeutin noch ein freundliches AUF WIEDERSEHEN zu und dann startete ein fröhliches Pfeifkonzert. Mein Vater pfiff, fast die ganze zehn Kilometer lange Fahrt vor sich hin. Immer nur kurz unterbrochen, wenn wir an einer Kreuzung standen und von rechts ein Auto kam, dann sagte er „Achtung“. Und wenn vor uns die Autos bremsten sagte er „Vorsicht“ und zeigte mit dem Zeigefinger nach vorn. Wir waren alle total geplättet von dieser Verwandlung und beim x-ten Mal „Vorsicht“ dann auch entsprechend amüsiert. War das schön, ihn so zu sehen. Er fuhr schon immer gerne Auto. Und das tat er offensichtlich immer noch.
Ja jetzt, hallo
Am Zielort angekommen ging das Aussteigen leicht von der Hand. Es schien wie eine sehr gut abgespeicherte Bewegung, die er einfach abspulte. Zack aussteigen, zack in den Rollstuhl sitzen und los ging’s. Kurz kam ich am Zebrastreifen ins Straucheln. Die Bordsteinkante wurde unerwartet zum unüberwindbaren Hindernis für mich und den Rollstuhl. Doch mit Michas Hilfe hat auch das geklappt. Puh!
Die Gäste meiner Mutter waren schon alle da. Als wir den Raum betraten, herrschte auf einmal Stille. Ach herrje! Doch die Gäste berappelten sich schnell und von überall her schallte es „hallo, hallo und nochmal hallo“. Dann wieder Stille. Bis mein Vater luftholte und mit einem „Ja jetzt, hallo“ die Stimmung auflockerte. Das Eis war gebrochen und einem entspannten Abend schien nichts mehr im Wege zu stehen.
Besondere Momente
Meine Mutter kam auf uns zu und ich so zu meinem Vater: „Ach schau mal, da kommt sie ja deine alte Schachtel.“ Meine Mutter entsetzt „Was hast du gesagt?“ und mein Vater lachte lauthals. Herrlich. Und wir anderen lachten mit – auch meine Mutter. Hihi. Das Essen verlief dann auch ohne Patzer, Hemd und Hose blieben sauber und meinem Vater schmeckte sein Essen: Schnitzel mit Pommes und Salat. Lecker. Danach kam mal dieser und mal jene zu meinem Paps. Die einen erkannte er sehr gut, da sie schon viele Jahre in seinem Leben sind. Bei den anderen dauerte es etwas länger.
Und dann gab es da diesen einen besonderen Moment: Das Herz ging mir auf, als einer seiner Kumpels sich zu ihm hinsetzte und sagte: „Mensch schön, dass wir uns mal wieder sehen. Das freut mich sehr. Kennst du mich noch.“ Und meine Vater ihn dann anlächelte und antwortete: „Ja, klar.“ Ob dem wirklich so war, sei dahingestellt, aber die ganze Situation strahlte so eine warme Vertrautheit aus. Da war es vollkommen egal, ob mein Vater nun den Namen seines Gegenübers noch wusste oder nicht. Er erkannte ihn irgendwie – auf Gefühlsebene – und das ist mehr als genug, finde ich.
Gegen 20 Uhr wurde mein Vater dann allmählich müde und wir machten uns auf den Nachhauseweg. Was für ein schöner Abend, entspannt und so voller schöner Momente. Auf dem Nachhauseweg wurde wieder gepfiffen und im Heim angekommen machte mein Vater einen total zufriedenen Eindruck. Sein Ausflug hat ihm gefallen und wie ich ein paar Tage später erfuhr, hat er in dieser Nacht geschlafen wie ein Bär bis 11 Uhr am nächsten Tag. Wie schön!
Bild von Artturi Mäntysaari auf Pixabay