49. Happy Birthday

Heute vor 72 Jahren hat mein Paps das Licht der Welt erblickt. Heute, auf den Tag genau 72 Jahre später, sitzen wir im Seniorenheim und feiern seinen Geburtstag. Das Schöne ist: alle seine Freunde und die Familie sind da. Ich freue mich sehr, dass sie alle hierhergekommen sind. Ganz besonders, weil ich weiß, dass das für sie keine Selbstverständlichkeit ist. Die meisten von ihnen sind so alt wie oder älter als mein Vater. Und nun kommen sie hierher, gesund und fit, und besuchen ihn an seinem Geburtstag. Bringen Kuchen und haufenweise Schokolade mit. Mein Papa liebt Schokolade – jetzt hat er einen Jahresvorrat ? davon.

Schreckensgespenst Altersheim

Was sie wohl denken mögen … Vielleicht sind auch sie bald so krank wie er und müssen in ein Pflegeheim. Vielleicht haben sie Glück und dürfen zuhause alt werden und sterben. Sie wissen es nicht. Ich weiß es nicht. Ich habe aber den Eindruck, dass sie alle Respekt haben vor dieser Art Haus. Aber so ist es nun mal. Mein Paps ist hier und es ist gut so. Vielleicht hat der Nachmittag hier das Schreckgespenst Seniorenheim etwas erträglicher, etwas normaler für sie alle gemacht. Ich weiß es nicht. Wie fühlt man sich, wenn man 70 und älter ist und einen Freund im Altersheim besucht? Was denkt man? Wie geht man damit um?

Ohne Zweifel ist der Weg in ein Heim nach wie vor negativ belegt. Auch ich bin verzweifelt, wenn ich losgelöst von allem, nur darüber nachdenke, dass mein Vater jetzt im Heim lebt. Alles in mir schreit förmlich danach: Hol ihn nachhause. Doch bei näherem Betrachten sieht das alles ganz anders aus. Meinem Paps geht es gut hier. Er ist angekommen. Die Krankheit und all ihre Begleitsymptome sind zwar noch da, aber jeder, der ihn sieht, erkennt schnell, ihm geht es hier im Heim besser als die letzten Monate zuhause. Traurig, aber wahr.

Glücksfall Seniorenheim

Oder ist es doch gar nicht so traurig? Ist es vielmehr ein Glück, dass er hier ist? Ich denke und empfinde, ja, es ist ein Glück, dass er hier jetzt seine letzte Lebenszeit verbringen darf. Natürlich sind meine Empfindungen der Tatsache geschuldet, dass die Umstände uns keine Wahl gelassen haben. Aber aus diesen Umständen haben wir das Beste gemacht. Und unter diesen Umständen geht es ihm hier in Heim, in seinem neuen Zuhause gut.

Der Nachmittag heute war allerding sehr hektisch. So viele Leute. Hier reden, dort quatschen und dann noch um den Papa kümmern. Ja, es war sehr unruhig, aber als dann seine Kumpels das Glas erhoben haben, um meinem Paps lauthals ein Geburtstagsständchen zu singen, da ging mir das Herz auf. Ich bin dankbar dafür, dass er solche Freunde und noch ein paar Reste einer Familie hat.

Wenn die Seele sich zurückzieht

Warum Reste? Weil der größte Teil unserer, seiner Familie, seine Geschwister, an seinem Leben schon lange nicht mehr teilhaben. Zwischenzeitlich sind sie fast alle tot. Doch gebrochen haben die Geschwister schon lange miteinander. Das ist mehr als schade. Und ich glaube, auch das ist Teil seiner Krankheit. Die Seele meines Vaters hat sich zurückgezogen, der Verstand hat sich verabschiedet, weil die Realität zu schwer auf allem lastete.

Das wirft die Frage auf: Waren wir seine Frau und seine Kinder nicht Grund genug, um hier zu bleiben. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wer weiß es. Hätte unsere Liebe seine Seele nicht vom Rückzug bewahren können? Wir werden es nie erfahren. Und ich glaube auch nicht, dass es so einfach ist. Sicher allerdings bin ich, dass die Last seines Lebens einen entscheidenden Beitrag dazu leistete, dass die Alzheimer Einzug halten konnte. Ja, ich bin überzeugt davon, dass nicht nur die Lebensweise, sondern auch die psychischen Belastungen und Enttäuschungen des Lebens, der Alzheimer Tür und Tor öffnen können. Und von diesen Belastungen und Enttäuschungen hatte mein Vater genug.

Der Streit innerhalb der Familie meines Vaters nahm solche Ausmaße an, dass sogar die Mutter meines Vaters starb, ohne dass er sich von ihr verabschieden konnte. Ich denke, dass ist für eine Seele nur schwer auszuhalten, egal wie groß der Streit zuvor war und wie tief die Enttäuschung saß. Ein Abschied ohne Abschied lastet immer schwer.

Lass uns das Leben feiern

Und trotzdem hatten wir einen schönen Nachmittag. Mein Paps saß wie immer, geschniegelt und gebügelt bei uns am Tisch. Die Pflegekräfte im Heim hatten ihm eine Jeans, ein schönes Hemd und seine neue Strickweste, die ich ihm zum Geburtstag geschenkt habe, angezogen. Toll sah er aus! Einziger Wermutstropfen. Vor 14 Tagen wurde etwas an der Medikation bei ihm verändert. Ein Medikament, dass seine Stimmungsschwankungen ausgleichen soll, wurde erhöht, weil er, wie ich neulich schon erzählte, wohl in letzter Zeit etwas unruhiger geworden ist.

Das Ergebnis ist aber nun, dass mein Paps mal wieder total müde ist. Seit ein paar Tagen schläft er fast jeden Nachmittag ein. Verpennt fast den kompletten Nachmittag. Und leider war das auch heute so. Zum Abendessen bekamen wir ihn nicht einmal mehr wach. Gleichzeitig lässt seine Unruhe nicht nach. In der Zeit, in der er wach ist, ist er unruhiger als zuvor. So zumindest mein Eindruck. Aus diesem Grund muss ich fix wieder mit dem Neurologen Kontakt aufnehmen und dafür sorgen, dass die Medis wieder reduziert werden. Die Pflegekräfte sind auch schon informiert und involviert. Zum Glück ziehen wir da an einem Strang.

Ja, es gibt immer was zu tun. Packen wir es also an. Aber jetzt erst mal gut’s Nächtle. Ich bin hundemüde und gleichzeitig dankbar für einen weiteren Tag mit meinem Paps ❤.

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