59. Friseurbesuch

Der wochenlange Lockdown trägt seine Spuren nach sich. Genauso wie uns Ladys die Ansätze rausgewachsen und die wahre Haarfarbe zum Vorschein brachte, sind meinem Vater die Haare länger und länger geworden. Er sah schon fast aus wie ein Hippie. Also höchste Zeit da mal die Schere anzusetzen.

Mittlerweile darf ins Seniorenheim der Friseur wieder hinein, aber mein Vater braucht das nicht. Er hat seine persönliche Friseurin. Meine Mutter, ausgebildete Friseurin, schneidet ihm die Haare bereits seit über 50 Jahren. Jetzt allerdings gilt die Abstandregelung. Und mit eineinhalb Metern Abstand bekommt kein Friseur auf der Welt die Haare kurz.

Verhandlungssache

Was sich mir allerdings nicht erschließt, warum darf eine fremde Person an den Kopf meines Vaters ran. Die eigene Frau allerdings nicht. Also werde ich mal wieder aktiv. Setze ein paar Hebel in Bewegung und freue mich erneut über ein Entgegenkommen seitens der Heimleitung. Mama darf Papa die Haare schneiden – natürlich unter Einhaltung strenger Hygieneregeln, die ein fremder Friseur auch einhalten müsste.

Also marschieren wir – Mama und ich – am vereinbarten Termin ins Heim. Wir haben wieder einen Tag mit gutem Wetter ausgesucht, damit das Ganze auf Papas Terrasse stattfinden kann und wir den Wohnbereich meines Vaters nicht betreten müssen. Mit frischen gewaschenen, trockenen Haaren bringen die Pfleger meinen Vater auf die Terrasse. Und nachdem ich die Mama in ihre Schutzkleidung gewickelt ? habe, kann sie auch schon loslegen.

Fliegende Haarpracht

Und da geht es auch schon los. Heute ist es ziemlich windig, so dass die abgeschnittenen, frisch gewaschenen und fluffigen Haare nur so davonfliegen. Auch gut, das Kehren danach können wir uns somit sparen. Ich bin mitgegangen, um Papa gegebenenfalls abzulenken, falls ihm das Haareschneiden nicht so behagt. Aber Pustekuchen. Mit jeder Haarsträhne, die fällt, hellt sich Papas Miene mehr und mehr auf. Die Mähne hat ihn wohl auch genervt und jetzt, da es obenrum immer luftiger wird, gefällt ihm das Haareschneiden offensichtlich ganz gut.

Mit den gewohnten Handgriffen erledigt Mama den Haarschnitt und Papa sitzt da, als wäre nie etwas gewesen. Manchmal juckt ihn ein Haar an der Nase, aber das weht der Wind auch schnell wieder weg. Und ich sehe einen Paps vor mir, der den Friseurtermin bei seiner Frau sichtlich genießt. Mama genießt es auch, obwohl sie unter der Kunststoff-Schutzkleidung ganz schön ins Schwitzen kommt.

Perfekt – für diesen einen Moment

Als der Haarschnitt dann fertig ist, muss ich die dampfende Mama dann auch schnell von ihrer Plastik-Kluft befreien. Papa befreien wir mit dem frisch gewaschenen und desinfizierten Mini-Friseurbesen auch noch von den letzten losen Haaren und fertig ist das neue Frisurenglück. Richtig fesch sieht Papa aus mit seinem Kurzhaarschnitt und die Welt ist wieder in Ordnung – für Mama, für Papa und für diesen einen Moment. Die Sonne scheint, Papa lächelt, wir sitzen draußen, lauschen Papas Playlist … und alles andere ist für heute egal ?.

Bild von Mostafa Meraji auf Pixabay

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert