Für alle, die es noch nicht wissen: Die Tani, das bin ich. Verwandte und Freunde nennen mich fast ausschließlich so. Kaum jemand sagt mehr Tanja zu mir. Mein Papa natürlich auch nicht. Dabei hat er mich seit Jahren (sicher seit 2018) nicht mehr so genannt. Er hatte meinen Namen offensichtlich vergessen.
Irgendwie hat mir das nie viel ausgemacht. Höre ich doch oft, dass die Angehörigen ganz besonders darunter leiden, wenn der Mensch mit Alzheimer ihren Namen nicht mehr weiß. Dieser Verlust ist für viele so groß. Ich hatte immer das Gefühl, mein Vater weiß wer ich bin, weiß, dass ich eine Person bin, die ihm nahesteht, die ihm nahe ist. Da war es tatsächlich zweitrangig, ob er mich beim Namen nannte.
Die Verbindung zwischen Vater und Tochter
Viel wichtiger war mir das Gefühl zwischen uns. Das Gefühl der Nähe und das war immer da, ist immer da. Manchmal brauch er zu Anfang ein bisschen, bis er mich einordnen kann. Aber dann hat er mich wieder auf dem Schirm und ich denke, das hat nichts mit meinem Namen zu tun, sondern einfach mit dem Gefühl, mit der Verbindung, die zwischen uns besteht. Und diese Verbindung zwischen Vater und Tochter gegen die kommt auch diese scheiß Alzheimer nur schwer an.
Umso erstaunter bin ich, welche Gefühle es in mir auslöst, dass er auf einmal meinen Namen wieder kennt. Wirklich jedes Mal, wenn ich bei ihm bin, sagt er Tani zu mir. Oder Bobbele – das war mein Kosename früher. So hat er mich neulich auch genannt. Es löst in mir eine so unbändige Freude aus, wenn er Tani zu mir sagt, dass ich es manchmal selbst nicht glauben kann.
Tani – in Bild und Ton
Und das Beste: Bei meinem letzten Besuch konnte ich so eine Situation, in der er mich bei Namen nannte, sogar im Video festhalten. Mein Paps hatte mein Handy in der Hand. Dieses Handy fasziniert ihn irgendwie. Also hab ich es ihm gegeben. Irgendwie hat er den Videomodus gestartet und irgendwas gefilmt. Als ich es bemerkt habe, wollte ich seine Hand so führen, dass er uns mit dem Handy in Selfie-Funktion aufnimmt und nicht nur den blauen Himmel oder die Hauswand. Hat dann auch irgendwann, irgendwie geklappt … der Bildschirm meines Smartphones wanderte in unsere Richtung, sodass mein Gesicht auf dem Display erschien. Mein Paps sieht das und sagt auf einmal: Die Tani. ? Ich hätte weinen können vor Glück.
Zwischen all der Freude mach sich die Erkenntnis breit, dass ich diese Situation – so schön sie für mich und ich glaube auch für meinen Paps ist, denn wenn ich mich freue, lacht er immer mit – einfach mal mitnehme und jede Sekunde davon auskoste. Einfach genieße …
Im Nebel der Medikamente
Gleichzeitig mache ich mir aber auch Gedanken. Was passiert da in seinem Kopf? Und warum passiert das? Und ich finde nur die eine Antwort dafür. Mein Vater nimmt seit seinem letzten Krankenhausaufenthalt im September 2020 aufgrund eines akuten Nierenversagens keinerlei Alzheimer-Medikamente mehr. Neuroleptika darf er ja schon lange nicht mehr nehmen. Aber er bekam noch die bekannte Alzheimer-Medikation, die die Krankheit aufhalten soll, und obendrauf ein Anti-Epileptikum, um seine Erregungszustände in Zusammenhang mit Stress zu dämpfen. Naja, und da sind wir wohl schon beim richtigen Wort. Ich habe den Eindruck, dass dieses Dämpfen verheerende Auswirkungen hatte. Ich bin davon überzeugt, dass es auch seine Demenz verschlechterte. Bei einem Blick in den Beipackzettel wird meine Vermutung bestätigt. Oh Mann, warum um alles in der Welt gibt man dann einem ohnehin schon an Alzheimer erkrankten Menschen ein solches Medikament – off Label auch noch.
Wie steht es um die Alzheimer-Forschung?
Die Antwort. Unsere Medizin ist hilflos. Sie steckt in Bezug auf die Alzheimerforschung noch so dermaßen in den Kinderschuhen, dass einem Angst und Bang werden kann, bei der Aussicht, dass es immer mehr Menschen mit Demenz geben wird. Deshalb ist es auch so wichtig die Forschung in diese Richtung zu unterstützen. Eine sehr gute Arbeit in diese Richtung leistet hier die Alzheimer Forschung Initiative e.V.. Laut deren Aussage soll es wohl in Richtung Alzheimer-Medikamente, die die Krankheit zwar nicht verhindern, aber den Ausbruch deutlich verzögern können, sehr gut Fortschritte geben. Leider wird es aber wohl noch Jahre dauern, bis wir wirklich davon profitieren können, sprich, bis die Medikamente zugelassen sind. Tja, und solange stopfen wir weiterhin unnützes Zeugs wie Neuroleptika oder ähnliche Chemie in unsere Menschen mit Demenz und wundern uns, warum sie aussehen wie Geister.
Einfach dankbar
Mein Papa sieht frischer aus als eh und je. Und ich bin einfach nur dankbar dafür … Dankbar, dass er keine Medis mehr nehmen muss. Dankbar, dass es ihm aktuell so geht, wie es ihm geht. Dankbar dafür, dass er viel klarer ist, als die Jahre zuvor. Dankbar dafür, dass er wieder viel mehr von uns wahrnimmt. Dankbar dafür, dass er mich immer noch anlächeln kann und unendlich dankbar dafür, dass uns noch etwas Zeit miteinander geschenkt worden ist.