72. Innerlich beruhigt: Terrassengeschichte #4

Gut 2 Monate ist es her, seit ich einen Beitrag auf meinem Blog veröffentlich habe. Viel ist seitdem passiert. Nichts ist seitdem passiert. Hä, wie jetzt? Ja, beides trifft zu, denn hier in meinem Laben ist viel passiert. Beruflich weite ich mein Angebot gerade aus. Das ist spannend, erfüllend, aber auch Kräfte zehrend. Bei meinem Papa geht es eher ruhiger zu.

Seltsam diese Ruhe wird auf der einen Seite des Lebens oft als Stillstand betrachtet und hat einen eher negativen Touch. In Bezug auf meinen Papa und unser Leben mit Alzheimer bin ich heilfroh, dass diese Ruhe eingekehrt ist. Nach diesem schlimmen Jahr 2020, Corona, das Nierenversagen bei meinem Papa, die schlimmen Dekubitus und schließlich die Entscheidung für eine Magensonde. Das hat alles so unfassbar viel Energiereserven verbraucht. Und ganz ehrlich, die sind bis heute noch nicht wieder aufgefüllt.

Erschöpft, aber froh

Ich stelle das immer wieder fest. Es zeigt sich daran, dass ich viel näher am Wasser gebaut bin als sonst. Schicksale anderer gehen mir viel näher als es wahrscheinlich gesund für mich ist. Und manchmal fühle ich mich einfach nur erschöpft und leer. Doch mit meinen neuen beruflichen Projekten merke ich: Die Kraft kommt zurück. Noch vor einem Jahr hätte ich mich nicht dazu aufraffen können. Wobei die Idee bereit zwei oder sogar drei Jahre in der Schublade liegt.

Dann komme ich wie heute zu meinem Paps und er lächelt mich an als er mich sieht und all die Anspannung, die Sorgen und das Erschöpft sein fallen von mir ab. Ich bin einfach im Hier und Jetzt, zusammen mit ihm und wie genießen die gemeinsame Zeit. Endlich können wir wieder auf seiner Terrasse sitzen, es ist Sommer, die Sonne scheint, es ist war und wir finden auf seiner Terrasse ein angenehm schattiges Plätzchen.

Körper und Geist wieder in Harmonie

Gut schaut er aus. Man glaubt es kaum, aber er hat seit November gut 10 Kilo zugenommen. Die Zusätzliche Ernährung über die Magensonde wurde beendet. Die Sonde (PEG) ist noch da, aber er braucht sie zur Nahrungsaufnahme nicht mehr, denn er isst wieder mit Appetit. Flüssigkeit bekommt er noch einmal am Tag darüber, so können wir sicherstellen, dass er an heißen Sommertagen nicht dehydriert.

Aber er schaut nicht nur gut, sondern auch zufrieden aus. Und das bereits seit Wochen. Mir scheint, als haben sein Körper und sein Geist wieder zueinandergefunden. Nach den schlimmen Phasen im vergangenen Jahr und dem starken Abbau habe ich den Eindruck, dass trotz der Alzheimer, alles wieder zusammenpasst. Natürlich ist mein Paps krank, aber er strahlt seit einigen Wochen eine Zufriedenheit aus gerade so als sei er wieder bei sich angekommen. Und genau das ist es, was ich mir für ihn so sehr gewünscht habe, dass er endlich bei sich ankommt, dass er sich innerlich beruhigt, damit auch ich mich innerlich beruhigen kann.

In der Ruhe liegt die Kraft

Konfuzius

Bobbele

So sitzen wir heute Nachmittag wieder auf seine Terrasse. Nur wir zwei. Singen, lachen und reden über dies und das. Ich frage ihn, ob es ihm gut geht. Insgesamt dreimal. Zweimal läuft meine Frage durch ihn durch, beim dritten Mal, schießt es aus ihm heraus: „Ja klar“, ist seine Antwort auf meine Frage. Ja klar, was frage ich überhaupt, ich seh doch, dass es ihm gut geht.

Bei meinen Besuchen in den vergangenen Wochen, hat er fast immer meinen Namen zu mir gesagt. Das ist schön. Deshalb frage ich ihn auch heute: „Weißt du wer ich bin.“ „Nein“, lautet seine Antwort. „Schade sage ich, „vielleicht weißt du es ja beim nächsten Mal wieder.“ Und wir lachen zusammen. Es vergeht eine kurze Zeit, eine Lied von seiner Playlist vielleicht. Auf einmal sagt er „Bobbele“. „Jaaaa“, meine erfreute Antwort. Das bin ich: Bobbele. So hat mich mein Paps immer genannt, als ich noch ein kleines Kind war.

Papa und ich auf seiner Terrasse

Bevor ich gehe, machen wir noch ein Selfie zusammen. Ich liebe das und es klappt auch ganz gut. Als ich dann zuhause bin und mir das Foto anschaue, kann ich es kaum fassen, wie nah wir wieder beieinander sein dürfen und können. Genießen wir es, solange es noch geht. Genießen wir die Sommerzeit auf Papas Terrassen und hoffen wir auf noch viele weitere Terrassengeschichten in einer innerlich beruhigten Zeit.

Foto: pixabay.com

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