Zunächst die gute Nachricht: meinem Vater geht es wieder besser. Mit vereinten Kräften von Ärzten und Pflegekräften sitzt er heute wieder fröhlich in seinem Rollstuhl und pfeift zu seiner Lieblingsmusik. Es ist so schön zu sehen. Und dafür geht mein ganz herzlicher Dank vor allem an die Pflegekräfte im Heim, die ihn wirklich mit Hingebung und sehr liebevoll wieder aufgepäppelt haben. Mittlerweile ist er mit einigen dort sichtlich zusammengewachsen. Und wenn die eine oder andere Pflegekraft den Raum betritt – natürlich immer Frauen, tut mir leid liebe Pfleger, aber da müsst ihr jetzt durch ? – dann huscht ein strahlendes Lächeln über sein Gesicht. Und mir geht das Herz auf.
Mittlerweile hat er sogar wieder ein paar Worte gefunden und so erzählen mir die Pflegekräfte immer mal wieder lustige Geschichten. Erst heute hat er wohl während er geduscht wurde zu einer Pflegekraft gesagt, sie sei doch verrückt. Das ist echt sein Lieblingswort und das zeigt sich nicht nur im Namen meines Blogs. Mit einem Lächeln im Gesicht, wurde mir diese Geschichte heut genau von der Pflegekraft erzählt, zu der mein Paps das gesagt hatte. Und dann schloss die Erzählung mit der Aussage: „…kurze Zeit später waren wir dann wieder Freunde.“ ?
Und eine andere Pflegekraft, von der ich weiß, dass mein Vater eine besondere Verbindung zu ihr hat (ich habe sogar den Eindruck, die Verbindung ist beiderseitig), hat mir neulich erzählt. „Heute hat er mich schon entlassen.“ Und dann wurde herzlich gelacht. Herrlich. Wahrscheinlich war er da gerade mal mitten in seiner ehemaligen Arbeitswelt.
Gemeinsame Zeit
So sitzt er heute nun endlich wieder mit uns zusammen auf seiner Terrasse bei strahlendem Sonnenschein und wir genießen unsere gemeinsame Zeit, die aufgrund der immer noch geltenden Corona-Beschränkungen zwar zeitlich begrenzt und auch durch Hygienevorschriften nach wie vor sehr eingeschränkt ist, aber wir sind endlich wieder zusammen. Nach 6 Wochen Kontaktsperre und 3 Wochen Besuche am Fenster, dürfen wir uns endlich wieder im Freien treffen. Mit Mundschutz, eineinhalb Metern Mindestabstand und ja nicht anfassen – aber zumindest ohne dämliches Fenster dazwischen.
Ich muss sagen, das Pflegeheim, in dem mein Vater lebt, tut wirklich alles, um Vorschriften, Regelungen, Hygienemaßnahmen und auch das emotionale Befinden seiner Bewohner und deren Angehörigen in Einklang zu bringen. Jeder muss gewisse Dinge akzeptieren, Maßnahmen mittragen und doch wird alles dafür getan, dass die alten Menschen nicht emotional vereinsamen. Natürlich sind die Wochen der Kontaktsperre gestohlene Zeit – so fühlt es sich zumindest an. Aber wenn wir jetzt so hier auf seiner Terrasse sitzen, ich quasi als Alleinunterhalter – das sagt zumindest mein Mann, denn ich quatsche meinen Paps ununterbrochen voll – und das halbe Gesicht hinter einer Maske versteckt, doch er nimmt mich, uns alle, viel besser wahr als durch ein Fenster getrennt, und es tut ihm gut, dass wir beisammen sind, dann ist alles gut!
Auf Abstand und doch ganz nah
Natürlich schwebt Corona immer irgendwie über uns und ich bin tatsächlich lieber auf 2 Meter Abstand von meinem Paps als zu nah dran. Und natürlich höre ich vor jedem Besuch sehr genau in mich hinein, ob es mir auch wirklich gut geht. Aber wir können nicht mehr als das möglichste tun, um ihn zu schützen. Also Mundschutz und Abstand. Und doch denke ich, die emotionale Nähe kommt auch auf 2 Meter Abstand zustande und das ist so wichtig für die Psyche – für seine und für unsere. Es gilt einen Mittelweg zu finden und das gelingt uns, auch dank der wirklich sehr emphatischen Begleitung durch Heimleitung und vor allem durch das Heimpersonal, wirklich gut. So gut, dass wir damit unter den gegebenen Umständen umgehen und vor allem leben können.
Ich bin ja sowieso der Meinung, dass die innere Einstellung zu einer Sache entscheidend ist, ob wir sie als gut oder schlecht empfinden. Und was haben wir für eine Wahl. Klagen? Das macht die Situation noch misslicher als sie eh schon ist. Deshalb plädiere ich für Zufriedenheit, für einen positiven Blick auf das was möglich ist. Und da entdecke ich gemeinsame Treffen bei Sonnenschein, auf einer wunderschönen Terrasse mit Blick auf eine schöne Wiese voller Margeriten, Obstbäume und einen großen Brombeerbusch, der im Sommer bestimmt wieder sehr viele Brombeeren tragen wird, von denen wir dann gemeinsam naschen können. Dann sehe ich einen Paps, der in seinem Rollstuhl sitzt, mich freudig anschaut und fröhlich zu seiner Lieblingsmusik pfeift. Mehr brauche ich im Moment nicht, um glücklich zu sein.
Hunde sind was Wunderbares
Seit die Besuchsregelungen gelockert wurden, bin ich nun das zweite Mal auf Terrassenbesuch bei einem Paps. Das erste Mal, am Vatertag, war er sehr müde, sodass er nach einer Viertelstunde einfach eingeschlafen ist. An diesem Tag jährte sich sein Einzug ins Heim auf den Tag genau zum ersten Mal. Ein sehr emotionaler Besuch für mich. Vielleicht ganz gut, dass er ihn quasi verschlafen hat.
Doch erst hat er den Hunden noch ein bisschen zugeschaut. Die darf ich jederzeit mitbringen. Und da kam es auch zu einer schönen Szene. Die Herta liegt ja normalerweise immer bei meinem Vater an den Füßen. Das darf sie jetzt aber nicht. Ich hab sie aber trotzdem mal frei laufen lassen und sie ging ganz langsam Richtung Rollstuhl. Ich sagte zur ihr „Nase weg“, dann weiß sie, dass sie dort nicht hin darf. Sie roch nur ganz kurz an den Schuhen meines Vaters und dann, so als ob sie sich versichert hätte, ja er ist es und ihm geht es gut, hat sie sich unter den Gartentisch gelegt und war zufrieden. Unser kleiner Welpe Fritzle flitzte derweil fröhlich durch die Wiese. Ihn ging das alles irgendwie gar nichts an. Nicht einmal der Rollstuhl – so etwas hatte er er noch nie gesehen – hat ihn gestört. Mein Vater warf immer mal wieder einen Blick auf Fritzle und gut. Was er in diesen Momenten wohl dachte. Ach egal, ich hatte den Eindruck, ihm gefällt unser kleines schwarzes Fellknäuel und Hunde und Menschen waren zufrieden.
Obwohl mein Vater an diesem Besuchstag recht schnell eingeschlafen ist, sind wir noch eine Weile geblieben. Haben uns unterhalten und ein bisschen mit unseren Hunden im Garten gespielt. Ich denke, er wird unsere Stimmen schon gehört haben und vielleicht gab das meinem Vater auch ein geborgenes Gefühl. So konnte er mit den Grundtenor vertrauter Stimmen an einem schönen Frühsommertag in „seinem“ Garten einfach ein bisschen vor sich hinschlummern. Ist doch auch schön.
Mit Musik geht alles besser
Beim zweiten Besuch war er dagegen hellwach. Diesmal hatte ich keine Hunde dabei. Da musste ich wieder meine Alleinunterhalterqualitäten beanspruchen ?. Dafür hatte ich aber wie immer seine Playlist dabei. Und zum Einstieg hab ich gleich Boney M. abgespielt. „Hör mal, Papa, Boney M. Die haben wir doch früher zusammen oft gehört, samstagsabends, wenn Mama im Sessel schlief und im Fernsehen Disko mit Ilja Richter lief.“ Und er lacht, ja wirklich, er lacht mich an und fängt an mit den Händen im Takt der Musik auf seine Schenkel zu klopfen. Ja, Terrassengeschichten mit Musik sind einfach etwas Wunderschönes… ?
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