Heute bekomme ich den Krankenhaus-Entlassbericht meines Vaters. Ich konnte die Tage nicht selbst zu ihm, denn Micha hatte Fieber, musste einen Corona-Test machen und bis zu Ergebnis – das zum Glück negativ war – mussten wir in Quarantäne bleiben. Dort, also im Entlassbericht, lese ich dann, dass mein Paps nochmal in die Klinik muss, wegen eines Dekubitus an der Hüfte. Eigentlich hatte er dort einen Abszess, der am Mittwoch bereits in der Klinik aufgeschnitten wurde. Jetzt muss erneut Haut abgetragen werden, um eine tiefergehende Entzündung zu vermeiden. Im Entlassbericht wird ein und dieselbe Hautläsion einmal Dekubitus, einmal Abszess genannt. Hä? Was jetzt?
Wegen dieser Hautläsion und deren Weiterbehandlung hatte ich am Donnerstag bereits mit einer Ärztin im KH telefoniert. Sie sprach von einem Dekubitus. Ich kann das eine vom anderen jetzt nur auseinanderhalten, weil sich die eine Läsion an der Hüfte, die andere am Steißbein befindet. Was aber genau meinen die Ärzte nun? Da tut Hilfe Not. Also bespreche ich das Thema Dekubitus oder Abszess am Montag nochmal mit der Hausärztin meines Vaters, in der Hoffnung, sie blickt da durch.
Medizinische Intervention – ja oder nein
Gleichzeitig hat die Klinik-Ärztin am Donnerstag noch die Palliativversorgung angesprochen. Wir sollen die Notwenigkeit jeglicher medizinischen Intervention fortan genau überdenken. Bei all der Angst, meinen Vater zu verlieren, würde ich niemals Dinge tun, die ein Leiden für ihn verlängern. Natürlich kann ich nicht alles beeinflussen – auch wenn ich das gerne täte. Wohl wissend, dass die Palliativversorgung gut und wichtig ist, aber ich sehe ihn noch nicht palliativ und seine Hausärztin im Übrigen auch nicht. Sie war sogar sichtlich erzürnt darüber. Und sie sagte mir, dass sie das mit den Ärzten in der Klinik am Montag direkt besprechen werde.
Jetzt kommt dieses Dekubitus-Abszess-Durcheinander noch obendrauf. Oh Mann, wie soll man da den Klinik-Ärzten überhaupt noch vertrauen. Ich fühlte meinen Vater dort eigentlich gut und fürsorglich versorgt. Aber jetzt wird es von der einen Abteilung abgeschrieben, während die anderen nochmal an ihm rumschneiden möchten.
Was also tun?
Am Montag alles nochmal mit der Hausärztin besprechen. Das Wörter-Durcheinander lösen, die weitere ärztliche Versorgung besprechen und bei all dem organisatorischen Kram den ethischen Aspekt nicht aus den Augen verlieren. Es geht hier um das Leben meines Vaters. Was kann ich noch tun, was muss ich noch tun und veranlassen, um ihm sein Leben in seinem aktuellen Rahmen und Möglichkeiten noch lebenswert zu gestalten. Welche Anstrengungen, sprich welche medizinischen Maßnahmen soll ich, sollen wir, noch einleiten und welche nicht?
So spreche ich mit Mama, mit der Schwester, mit meinem Mann und am Montag nochmal mit seinen diversen Ärzten. Dann treffen wir eine Entscheidung. Für heute kommt meine Mutter mit der positiven Nachricht aus dem Heim, dass es ihm heute so gut geht, wie schon lange nicht mehr. Er ist mit Appetit, er trinkt, er schluckt, er lacht und nimmt am Leben teil. Für heute ist die Palliativversorgung in weite Ferne gerückt. Und was morgen, übermorgen und den Tag danach ist, werden wir sehen.
Kleine Fehler – große Wirkung
Anstrengend ist im Moment nur das Eine: die Organisation und Koordination der verschiedenen Ärzte, die an ihm rumfummeln, denn da passieren in meinen Augen Fehler. Nur Kleinigkeiten vielleicht, aber die können gravierende Auswirkungen haben. So wurde laut Entlassbericht ein Medikament wieder angesetzt, dass wir eigentlich pausiert hatten. Auch das muss ich am Montag nochmal mit den diversen Ärzten klären. Morgen versucht meine Schwester im Heim herauszufinden, ob er es nun erneut bekommt oder nicht. Ich hoffe nicht, denn es war uns ein Anliegen, dass er genau dieses Medikament nicht mehr einnimmt.
Und zwischen all dem sollen und wollen wir das Leben nicht vergessen. Wann ist das Leben lebenswert. Ab wann wird es zur Qual. Ich für mich bin der Meinung, dass solange uns das Lachen nicht vergeht, solange wir Liebe empfangen und auch Liebe geben können – sei es auch nur mittels klitzekleiner Gesten –, solange ist das Leben lebenswert. Und deshalb bin ich so froh, dass meine Mutter und mein Paps heute ein paar dieser schöne Momente erleben durften.
„Wenn ein Blatt, irgendein Blatt vom Baume fällt
Udo Jürgens
Weil der Herbstwind es so bestimmt
Wenn das Schicksal uns etwas nimmt
Vertraue der Zeit
Denn immer, immer wieder geht die Sonne auf
Und wieder bringt ein Tag für uns ein Licht
Ja, immer, immer wieder geht die Sonne auf
Denn Dunkelheit für immer gibt es nicht
Die gibt es nicht, die gibt es nicht“
Ich frage mich tatsächlich, wie alte Menschen das alles packen. Ernsthaft. Wie regeln die das alles mit den Ärzten und mit den Behörden… Kostet mich das Ganze doch schon unsagbar viel Kraft. Und ehrlich, ich habe keine Antwort darauf. Doch deshalb stecke ich den Kopf nicht in den Sand, sondern laufe tapfer weiter meinen Weg. Unterstütze meinen Paps nach Kräften und lasse zu, was ich nicht mehr beeinflussen kann. Wie sang einst Udo Jürgens „immer, immer wieder geht die Sonne auf“ Ja, genau das tut sie.
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Das Lied ist tatsächlich ein richtig schönes Lied von Udo Jürgens und soooo wahr, wenn man ein positiv denkender Mensch ist und am besten immer bleibt.
Meine Mama hat früher immer gesagt wenn etwas schlimmes passiert ist:
Wenn Du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Und es stimmte immer. Das Lied erinnert mich ein wenig daran.
Ja, dieses Sprüchlein kenne ich auch. Und ich denke genau so. Man darf seine positive Einstellung und vor allem den Blick für das Schöne – gerade im Kleinen, im Moment – nicht verlieren…