69. Zuversicht

Kennt ihr das, man wähnt sich fast im Ziel, ist zuversichtlich und dann passiert etwas Unerwartetes und das Ziel-Fähnchen rückt wieder in die Ferne. Das ist irgendwie wie in diesen Träume, in denen man das Ziel bereits sieht, aber durch die verrücktesten Dinge und Situationen davon abgehalten wird, es zu erreichen. So komm ich mir gerade vor und ich vermute mal, dank Corona, bin ich mit diesem Gefühl nicht allein. Es spielt sich in allen Lebensbereichen ab: Bei uns natürlich im Besonderen durch die Situation rund um Corona und die Versorgung meines Vaters im Pflegeheim.

Quarantäne-Dauerschleife

Weihnachten war kaum vorüber, erreicht uns kurz vor Silvester die Hiobsbotschaft: Ein Pflegekraft im Wohnbereich meines Vaters ist Corona positiv. Also erst mal Schotten dicht. Angehörige müssen draußen bleiben. Die Silvesternacht war damit für uns nicht nur ungewohnt still, sie war auch überschattet von großer Sorge. Da wähnt man sich kurz vor der Ziellinie – in Form einer ersten Impfung für meinen Papa – und dann das.

Nach 6 Tagen kommt die Zuversicht zurück, der Spuk ist zunächst vorbei. Kein weiterer Coronafall im Heim. Also darf die Mama wieder für einen Besuch rein. Doch zu früh gefreut. Am selben Abend kam der Anruf. Papa hat Fieber und ein Mitbewohner auch. Ein Schnelltest ergab. Der Mitbewohner ist positiv. Papa nicht. Schwupp – und die Sorgenfalle schwappt wieder zu. Erneute Quarantäne. Dieses Mal für 10 Tage. Und Papa Kontaktperson der Kategorie eins. Jetzt bricht die Angst bei mir, bei uns allen so richtig durch. Das darf doch alles nicht war sein. Ich fühle mich wie in einem schlechten Film und diese grenzenlose Erschöpfung bricht wieder über mich herein.

Erschöpfung vs. Aufatmen

Seelischer Stress, kann eine körperliche Erschöpfung auslösen, von der ich vor der Alzheimer-Erkrankung meines Vaters nicht einmal einen Hauch von einer Ahnung hatte. Also schleppe ich mich durch die Tage. Ich kann nichts tun – was für mich mit das Schlimmste ist – außer zu warten. Es werden noch die verlässlicheren PCR-Tests anberaumt und nach einem Wochenende bangen Wartens, dann am Montagnachmittag der erlösende Anruf: Papa ist negativ und in seinem Zimmer jetzt in sicherer Quarantäne. Aber eben mutterseelenalleine, denn natürlich hält sich bei ihm, als Kontaktperson der Kategorie eins, auch nicht wirklich lange jemand im Zimmer auf. Mama geht einmal hin und schaut durch sein Zimmerfenster. Er sieht sie nicht, aber für sie macht er einen zufriedenen Eindruck. Das ist zumindest eine kleine Erleichterung.

Dann nach 10 Tagen der erlösende Anruf. Keine erneute positiv Testung, wir können Papa wieder besuchen. Und was dann passierte ließ uns wahrlich Staunen. Nach der Quarantäne geht es meinem Paps so gut wie schon lange nicht mehr. Er ist ordentlich gepflegt, guter Laune, ungemein gesprächig, pfeift und singt und lacht und manchmal, ja manchmal ist er auch so grantig wie eh und je. Uns fällt nicht nur ein Stein, es fällt uns ein ganzer Felsbrocken vom Herzen.

Impfung – war da was?

Heute mittlerweile 2 Wochen später, ist der Zustand meines Vaters immer noch gleich gut. Und darüber sind wir einfach nur dankbar und glücklich und hoffen voller Zuversicht, dass das noch lange so bleibt. Doch natürlich scharren wir nach wie vor mit den Hufen. Wo bleibt diese dämliche Impfung? Der Papierkram ist erledigt, doch es erscheint einfach kein Impf-Team im Heim. Diese Warterei ist zermürbend und man muss schon ein sehr robustes Nervenkostüm haben, um daran nicht zu verzweifeln. Wenn ich mich den Gedanken und Gefühlen hingebe, werde ich unruhig, bekomme es auch ein bisschen mit der Angst zu tun. Was, wenn im Heim nochmal Corona ausbricht? Was, wenn Papa nicht nochmal das Glück hat sich nicht anzustecken? Nicht auszudenken…

Nur noch mit FFP2-Mundschutz und Schnelltests

Diese Gedanken plagen mich nachts. Tagsüber weichen sie der Zuversicht, denn im Heim meines Vaters wird wirklich sehr viel dafür getan, dass ein erneuter Ausbruch verhindert wird:

  • Besuch nur noch mit vorherigem negativen Schnelltest
  • Zutritt nur mit FFP2-Maske
  • der Schnelltest wird im Heim durchgeführt (kostenlos)
  • FFP2 Masken sind zum Preis von 2,50 Euro im Heim erhältlich (ich hab meine eigenen – hab uns eingedeckt und knapp 100 Masken eingekauft – Hamster lässt grüßen ?)
  • drei Besuch pro Bewohner und Woche sind möglich
  • Ausnahmen gibt es im Bedarfsfall auch
  • wenn ein Mensch im Sterben liegt, dann dürfen seine Angehörigen täglich kommen

Das komplette Hygienekonzept im Heim ist schlüssig und gut durchstrukturiert. Ich fühle mich und uns immer gut versorgt. Ansprechpartner sind immer da. Gut auf den Rückruf der Leiterin des Wohnbereichs, in dem mein Vater wohnt, warte ich nun schon ein paar Tage. Naja, da drücken wir mal eine Auge zu, denn die haben wirklich alle unfassbar viel zu tun, tragen eine riesige Verantwortung und sind auch einen hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Also werde ich wohl die Tage mal nachhaken, irgendwie finden wir uns schon.

Verständnis füreinander

Ich denke eh, dass man als Angehöriger grundsätzlich – und in Ausnahmesituationen wie diesen im Besonderen – gechillt sein sollte. Das hört sich so easy an. Ist es beileibe nicht, aber was bringen Hektik und Stress? Nichts. Ich versuche offenen Auges und offenen Herzens durch jede noch so schwierige Situation zu kommen. Ich zeige Verständnis, verlange aber auch Verständnis für meine Belange, wenngleich sie im Verhältnis zu den Herausforderungen, die Corona an uns stellt, vielleicht sogar bisweilen banal anmuten.

In der Regel funktioniert das sehr gut. Ich finde die Balance. Und wir – also die Verantwortlichen im Heim und ich – begegnen uns auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Verständnis. Habe ich ein Anliegen, wird mir zugehört. Hat man auf der anderen Seite keine Zeit für mich, dann warte ich auf eine bessere Gelegenheit. Habe ich einen Grund zur Beschwerde – und ich wäre eine Lügnerin, wenn ich behaupten würde, dass immer alles glatt läuft –, dann beschwere ich mich, versuche aber nie den Blick und das Verständnis für die andere Seite zu verlieren, auch wenn die Sache für mich von höchster Bedeutung ist und nicht zufriedenstellend erledigt wurde. Es gibt immer einen Grund, für das was schiefgelaufen ist. Außerdem versuche ich auch meine Wertschätzung für die Arbeit, die im Heim für meinen Papa und die anderen Bewohner geleistet wird, immer wieder zum Ausdruck zu bringen. Ein Lob tut nicht nur mir gut.

In diesem Zusammenhang fallen mir die Worte ein, die ich neulich in einer Angehörigen Gruppe lesen musste. Wir Angehörigen wurden darauf hingewiesen, nicht zu vergessen, dass das Pflegeheim unser (gemeint sind wir Angehörigen und die Bewohner) Dienstleiter ist, dass wir ja schließlich für die Versorgung bezahlen und daher auch ein bestimmtes Maß an Pflege, Versorgung sowie auch Zeit und Zuwendung für die Bewohner erwarten können. Wir seien keine Bittsteller.

Ich fand diesen Beitrag sehr unglücklich, auch wenn die Verfasserin mit dem Kern ihrer Aussage wohl Recht hat. Aber so funktioniert das für mich nicht. So trocken formuliert, sehe ich die Gefahr, dass der eine oder andere Angehörige, der vielleicht mit der Situation im Heim nicht zufrieden ist, übers Ziel hinausschießt. Und so schlecht manche Heime ihre Bewohner tatsächlich versorgen, so unbegründet unzufrieden kann manch ein Angehöriger auch sein. Deshalb rate ich immer zu einem sorgsamen Umgang miteinander. So ein Beitrag hingegen ist für mich wie Öl ins Feuer gießen, das ohnehin vielerorts bereits lichterloh brennt.

Fürsorge – ein hohes Gut

Soweit aber mal mein abschweifender Gedankengang, der gleichzeitig damit verbunden ist, dass es im Heim meines Vater ganz anders abläuft. Und darüber bin ich sehr froh und dankbar – sagte ich schon, stimmt. Kann man aber nicht oft genug zum Ausdruck bringen. Klar, läuft auch bei uns nicht alles rund. Wenn ich nur an die zwei Monate denke, in denen mein Papa 4-mal im Krankenhaus war. Da lief so einiges falsch. Oder bei meinem jüngsten Besuch im Heim. Da hatte mein Papa eine tiefe Kratzwunde im Arm. Die hat er sich ganz offensichtlich selbst zugefügt, denn mit dem Verlauf der Alzheimer-Krankheit werden haptische Eindrücke immer wichtiger. Und wenn da vermeintlich was fehlt, wenn innere Unruhe – aus welchem Grund auch immer – aufkommt, dann zwicken und kratzen sich diese Menschen selbst. Deshalb sollten die Nägel immer kurz sein. Mein Vater hatte an dem Tag aber viel zu lange Nägel. Offensichtlich hatte seit Wochen keiner mehr Zeit dafür. Das ist ärgerlich, denn mit geschnittenen Nägeln, könnte er sich nicht derart verletzen. Also im Grunde eine ganz einfache Maßnahme, die ihn schützt und den Pflegekräfte langfristig Arbeit erspart, denn jede neue Kratzwunde, muss ja wieder versorgt werden…

Aber was bringt es zu hadern oder auf den Tisch zu hauen. Problem ansprechen, klären, fertig. Oder einfach selbst anpacken. Beim nächsten Besuch hat meine Mama, nach Rücksprache mit den Pflegekräften, die Nägel meines Papas selbst geschnitten. War auch kein Problem. Wenn das Drumherum stimmt, wenn man als Angehöriger das Gefühl und damit auch die Gewissheit hat, dass dein Vater, deine Mutter, dein Lebenspartner gut und emphatisch versorgt wird und man zwischendurch halt auch mal selbst anpackt, dann kann eine innere Ruhe einkehren, die einem Vieles leichter macht. Wie wichtig dieses Gefühl „Mein Papa ist gut versorgt“ gerade in Zeiten wie diesen ist, erlebe ich jeden verdammten Tag.

Und so warten wir eben immer noch auf die Corona-Impfung, vertrauen auf das Hygienekonzept im Pflegeheim, bauen auf die fürsorgliche und aufopfernde Arbeit der Pflegekräfte, tragen brav unsere FFP2 Masken, lassen uns regelmäßig ein Stäbchen in den Hals stecken und hoffen das Beste – ich sehe es nämlich schon, das Licht am Ende des Corona-Tunnels. Seht ihr es auch?…

Bild von Mandy Fontana auf Pixabay

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