70. Corona-Impfung im Seniorenheim

Es ist vollbracht. Mein Papa ist geimpft. Corona-Impfung eins und zwei sind durch und ihm geht es gut. Aufatmen. Für mich waren diese Wochen zwischen Piks eins und Piks zwei mit einiger Aufregung verbunden. Durch diese ständige Impfdiskussion, das Gezerre und Gezeter, ist man doch irgendwie verunsichert. Wobei ich eigentlich immer recht zielstrebig bin, wenn einmal eine Entscheidung getroffen ist, und dann auch nicht mehr ins Schwanken komme. Doch wenn es um Gesundheit geht, dann treiben einen doch ein paar Gefühle mehr als sonst üblich um.

Was ist, wenn Papa die Corona-Impfung nicht verträgt? Ich habe für ihn entschieden. Bin ich dann schuld? Natürlich habe ich nicht allein entschieden, sondern wie immer werden solche Dinge bei uns im Familienrat besprochen und abgenickt. Es ist nur so, dass mein Name auf der Einwilligungsbescheinigung steht und der Impfarzt bei mir angerufen und mit mir das Impfaufklärungsgespräch geführt hat. Und nun, nachdem der zweite Piks vorüber ist und es meinem Paps tatsächlich so gut geht wie schon lange nicht mehr, fällt allmählich dann doch die Anspannung weg.

Es wird leichter

Monatelang hatte ich jedes Mal ein unsicheres, fast schlechtes Gefühl, wenn ich ihn besucht habe. Es schwebte immer die Angst mit, dass ich Corona ins Heim hineintrage. Dieses Gefühl wurde auch mit den seit kurzem durchgeführten Coronatests vor dem Betreten des Heims nicht wirklich besser. Doch bei meinem Besuch diese Woche, also nachdem mein Papa nun beide Termine der Corona-Impfung absolviert hat, fühlte sich für mich die Begegnung viel leichter an. Entspannt saßen wir beisammen und ich weiß nicht, ob es an mir lag, aber mein Vater hat zum ersten Mal seit langem nicht gemotzt als ich kam.

Seit einiger Zeit motze er nämlich immer erst mal. Ich hatte den Eindruck, er beschwert sich über irgendetwas. Und hab mich immer gefragt, was mit ihm los ist. Bei meinem jüngsten Besuch wurde nicht gemotzt. Außerdem knirscht mein Vater seit Monaten mit den Zähnen, so schlimm, dass ihm bereits ein Zahn abgebrochen ist. Bei meinem jüngsten Besuch knirschte er nicht. Lag es an mir? Bemerkte er, dass es mir um mein Herz so viel leichter war? Das Herz wird nicht dement – heißt es. Deshalb bin ich mir sicher: mein Paps hat es gespürt. Er hat gespürt, dass meine Leichtigkeit sich allmählich wieder zurückmeldet. Und dann folgte an diesem Nachmittag irgendwie ein Herzmoment auf den anderen.

Corona-Impfung & Herzmomente

Wir unterhalten uns über dies und das, über die Corona-Impfung, diesen blöden Virus und auch über die Wahrheit und dass ich ihm immer die Wahrheit sagen werde, auch wenn sie mal nicht so schön ist. Daraufhin drückt er meine Hand ganz fest, schaut mich an und sagt: „Hilfst du mir auch?“ „Ja, klar Papa, ich helf dir immer.“, antworte ich. „Das ist gut.“, sagt er, lacht mich an, sein Händedruck wird dabei immer schwächer und ich lächle zurück ?.

Dann gesellt sich ein Pfleger zu uns. Er hatte von Anfang an keinen so guten Draht zu meinem Vater. Durch den Umstand, dass sich mein Paps bei der Körperpflege trotz seiner körperlichen Schwäche immer noch ab und an wehrt, damit kommt dieser Pfleger nicht ganz so gut klar. Doch heute nimmt er die Hand meines Vaters und der schaut ihn freudestrahlend an. Dabei kommt eine gewisse Vertrautheit zum Vorschein, die auch mein Vater diesem Pfleger entgegenbringt. So können sich die Dinge ändern, denke ich für mich. Ein schöner Moment, der mich zufrieden und glücklich macht, sind diese fremden Menschen doch mittlerweile auch zu Vertrauten geworden. Schön.

Kurze Zeit später kommt der nächste Pfleger um die Ecke. Ich sage „Oh schau mal Paps, da kommt der Herr XY.“ Mein Papa schaut auf und lacht. Schon wieder so ein vertrauter Moment. Auch dieser Pfleger gesellt sich zu uns. Wir reden kurz über die ätherischen Öle, die ich mitgebracht habe. Wir besprechen, wie man sie anwenden kann und wie sich damit vielleicht die Angespanntheit meines Vaters, die ihn nach wie vor während der Körperpflege belastet, vielleicht durch die oder mit Hilfe der Duftöle etwas lösen kann. Da entdeckt der Pfleger einen Schokofleck an der Nase meines Vaters und er reibt ihn schnell weg. „Oh, daran bin ich schuld, ich hab ihm eben einen Schokopudding gegeben. Das sollte nicht sein. Er soll doch anständig aussehen.“ Häufig quittiert mein Vater solche schnellen Annäherungen, vor allem im Gesicht, mit einem erschrockenen Kopfzucken, manchmal drückt er dann auch mit seiner Hand die Hand des anderen weg. An diesem Tag nicht. Er scheint diese Art der Pflege gewohnt und nimmt sie vertrauensvoll an. Wie schön. Mich beruhigt es ungemein, zu wissen, dass ich die Pflege meines Paps derart empathischen Menschen anvertraut habe.

Boney M.

Als wir wieder allein sind und auch am Nebentisch niemand mehr sitzt, hole ich endlich mal wieder seinen Bluetooth-Lautsprecher raus und schalte seine Playlist ein. Jetzt stören wir mit unserer Musik bestimmt niemanden. Und siehe da, bei Boney M. erhellt sich die Stimmung massiv, der Papa klopft sich im Takt auf die dünnen Schenkel und pfeift zur Musik. Schnell zücke ich die Kamera und halte den Moment fest – für mich und auch für die Mutti, die sich über das Bild, das direkt per WhatsApp an sie rausgeht, sehr freut.

Die Zeit ist mal wieder wie im Flug verstrichen und ich muss wieder gehen. Ich rufe einen Pfleger – schon wieder, heute scheinen nur Männer da ? – und bitte ihn, dass er meinen Paps wieder zurück in seinen Wohnbereich bringen möge. Den Wohnbereich darf ich trotz Corona-Impfung immer noch nicht betreten. Ich hoffe, dass sich dieser Zustand bald ändert und wir demnächst wieder im Wohnzimmer meines Vaters zusammensitzen dürfen, auch mal wieder zwei Besucher gemeinsam. Naja, da heißt es wohl noch mal ein bisschen geduldig sein. Aber das halten wir schon aus, denn es steht ja auch die warme Jahreszeit direkt vor der Tür und damit sind die schönen Stunden auf der Terrasse meines Vaters ebenfalls in greifbarer Nähe. Ich freu mich schon…

…und doch bin ich heute mal wieder ein bisschen traurig, dass ich meinen Paps hier zurücklassen muss, dass ich allein nachhause muss, in das Haus, dass er für uns, für seine Familie von Jahren gebaut hat. Heute gehört es zur Hälfte meinem Mann und mir und doch ist es das Haus meines Vaters, von dem ich mir so sehr gewünscht habe, dass er darin alt werden darf. Ja, das Leben kommt eben manchmal anders als man denkt … das ist nicht zu ändern. Was ich aber ändern kann ist meine Einstellung zum Leben. Ich kann annehmen, was nicht zu ändern ist, kann dort aktiv werden, wo etwas veränderbar scheint, und ja, ich darf auch mal traurig sein … deshalb lasse ich die Traurigkeit zu, die mich in diesem Moment überfällt. Gedankenversunken fahre ich nachhause, wo mich meine beiden Hunde mit einem freudigen Wedeln empfangen und mein Mann bereits mit dem Abendessen auf mich wartet.

Foto: shutterstock.com

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